Die lange Strecke nach Cartagena

von Ralph Schelle

weitere Bilder siehe Rennbericht hier!

Eine Serien-W 2000 bei Laune zu halten, ist schon aufwändig genug. Eine Rennwankel zu betreiben, ist noch eine ganze Kante aufwändiger, aber Langstreckenrennen mit einer W 2000 zu fahren, ist eine wirklich dauerhaft wirksame Maßnahme zur Vollbeschäftigung.
Hans-Heinrich Duensing war es, der diese Idee bereits 2003 im Kreis der üblichen Verdächtigen aussprach und damit auf Zustimmung stieß. Letztere legte sich dann doch teilweise, als klar wurde, was für ein Aufwand hinter einer solchen Sache steckt. Langstrecke heißt erst einmal, präzise Vorbereitungen zu treffen und die Maschine so zu präparieren, dass praktisch alle relevanten Teile ausreichend erprobt und bei unerquicklichen Verformungen auch schnell getauscht werden können.

Vorbereitet werden müssen auch die Fahrer, die für ein solches Vorhaben eine besondere Belastbarkeit des Körpers, der Familientoleranz und des Kontos aufweisen müssen. Jetzt wird auch allmählich klar, warum die anfänglichen Begeisterungswellen nach und nach zusammenfielen wie eilig ausgesprochene Wahlversprechen. Aber Hans-Heinrich ist ja hinlänglich für seine Sturheit bekannt, und so wurde im Herbst 2005 das Langstreckenteam ins Leben gerufen, bestehend aus Christine und Heinz Ruppert, Reiner Nikulski, Hans-Heinrich Duensing und dem Autor dieser Zeilen. Letzterer schlug als Teamnamen sogleich Hanuta racing team, Kukident racer front und Scuderia Rheumadecke vor, was jedoch aus unerfindlichenen Gründen wenig Anklang fand. Wir einigten uns schließlich auf blue rotary racing team.

Ende Herbst und Anfang des Winters war die Zeit der minutiösen Vorbereitung. Am Ende hatten wir ein Rennpaket geschnürt, das sich wirklich sehen lassen konnte. Selbst ein Defekt am Motor oder am Getriebe während des Rennens sollte kein allzu großer Anlass zur Sorge sein: Wir konnten eine komplette Motor/Getriebeeinheit in etwa 25 Minuten wechseln. Mit viel Glück kann man in einem 6-Stunden-Rennen selbst bei derartigen Ausfällen noch aufs Treppchen gelangen.
Freitag, der 27. 01.2006, Cartagena, Südspanien. Freies Training. Die erste Fahrt ist meine. Mit einer gesunden Mischung aus Elan und Naivität röhre ich in den 3,5 km langen Kurs Cartagenas, der es in sich hat, denn nicht jede Ecke ist frei einsehbar. Gegen Eindösen helfen auch 2 Spitzkehren, die mit feinem Sand garniert sind.

Heinz Ruppert beim Training

Heinz Ruppert beim Training am Freitag

Ein abvibrierter Kabelstecker, ein von Inkontinenz geplagter Dell`orto und eine rutschende Kupplung sorgen für unsere Espressopausen. Heute, am Trainingstag, darf alles passieren. Erst morgen geht es um den Pott. IG-Chefin Christine misst unsere Rundenzeiten. Deren Aufschriebe erhellen Teamgemüter aufs Feinste und nähren zurecht die Hoffnung, nicht in der Parkplatzsucherkategorie eingeteilt zu werden. Zwar fahren wir nicht an vorderster Front, denn in unserer 250er-2Takt/350er-4Takt-Klasse treten u.a. zwei Teams namens Jazen racing und Mircomar an. Die Beiden fahren nahezu allen, also auch den Maschinen der "open class" schlichtweg davon. Morgen beim Qualifying wissen wir es genauer.
Samstag, der 28. Januar. Renntag. 20° C und ein strahlend blauer Himmel sind hier in Südspanien Ende Januar normal. Aber heute ist gar nichts normal. Um 7:30 haben wir gerade mal 8°C - und leichten Regen.

Wir sind guter Dinge, denn eine nasse Straße kann ja uns von Vorteil sein. Zeigten doch vergangene Regenrennen, dass speziell unsere Wankel mit ihrer gutmütigen Charakteristik bei rutschigen Verhältnissen eiliger unterwegs sein kann als zweitaktende oder gewichtsstärkere Konkurrenz. Und noch ein Ass wird uns zugespielt: Zumindest wegen Überhitzung wird die Wankel heute nicht ausfallen. Das nährt unsere Hoffnungen.

Gegen Mittag werden die Wetterverhältnisse immer lausiger. Der Regen wird stärker, und die Temperaturen fallen auf mickrige 3°C - Wetter, bei dem man normalerweise im beheizten Keller sitzt und Chromteile poliert. Aber Rennen fahren? Buäh! Und das Ganze auch noch 6 Stunden lang? Doppelbuäh! Die (von der Sonne verwöhnte) Rennleitung entscheidet denn auch: Unter diesen Umständen sind 3 Stunden genug.
Um 11 h fährt Hans-Heinrich Duensing, der schon gestern die schnellste Zeit im Team fuhr, das Qualifying. Und Hans-Heinrich fährt phantastisch! Er sichert uns einen bravourösen dritten Startplatz in unserer Klasse.

Jedoch meldet Hans-Heinrich auch, dass die Maschine im Quali zeitweise zickig Gas annehme, und zuweilen gehe sie freiwillig gar nicht mehr runter vom Gas. Ein Blick auf Vergaser und Ansaugstutzen verrät die Ursache. Die Aggregate sind komplett vereist!
Was tun? Es gilt zu verhindern, dass der Fahrtwind über den Vergaser streift. Auf die Schnelle muss ein geeigneter Windschutz her. Aber wie? Aus was? Jetzt ist Improvisation gefragt. Flugs wird aus dem Deckel eines Verbandkastens (danke, Hans-Heinrich!) ein Vergaser-Windschutz. So muss es gehen.

13:00 h - Startaufstellung des Langstreckenrennens von Cartagena:

Le Mans Startaufstellung des Felds

Der Start erfolgt nach Le-Mans-Art, d. h. alle Fahrer stehen am Straßenrand, während die Motorräder mit laufenden Motoren und vom Helfer gehalten auf der anderen Seite der Straße stehen.

Start! Und Sprint! Und los!

Phase 1
Phase 2
Phase 3

in action gegen Montesa

Seltenes Bild: W 2000 gegen Montesa

Hans-Heinrich, der von uns als erster dran ist, prescht davon. Sonores Röhren mischt sich mit den Symphonien aufgeedelter großvolumiger Twins und mit dem Kreischen spanischer Zweitakter.
Meterhoch spritzt die Gischt hinter den Maschinen. Christine, notdürftig vermummt, nimmt Zeiten und ist Infodienst für die Fahrer.


Nach ein paar Runden wird klar: Die beiden spanischen Teams Jazen racing und Mircomar sind auf und davon. Sie degradieren mit ihren alten 250er Bultacos nahezu das ganze restliche Feld. Bleibt nur zu hoffen, dass auch Bultacos von Defekten heimgesucht werden können. Wie dem auch sei, Gold und Silber scheinen (vorerst) unerreichbar.

An fünfter Stelle liegend, visieren wir erst einmal Bronze an. Hans-Heinrich kämpft tapfer gegen Leon/Rodriguez auf Montesa und gegen eine von Garcia/Garcia pilotierte Ossa. Die Montesa hält anfangs mit, kann sich jedoch aus Pulks nicht ablösen und verliert zusehends Runde für Runde wertvolle Sekunden. Hans Heinrich zieht vorbei. Diese Front scheint fürs erste geklärt. Auf Platz 4 liegend, gilt es nun, Garcia/Garcia auf der Ossa zu knacken, die vor allem auf der Geraden ihren Leistungsvorteil ausspielt.

3 Stunden sind sehr lang. Da kann noch viel passieren. Das Wichtigste ist, dass wir uns bloß nicht hinlegen dürfen. Und wie ich Hans-Heinrichs Tempo so anschaue, kann genau das passieren. Er ist bei diesem Sauwetter richtig eilig unterwegs.
In unserer Klasse sind wir, wie oben beschrieben, erst auf dritter, dann auf fünfter und jetzt in vierter Position. Im Gesamtfeld lassen wir etliche große Guzzis und Ducatis sozusagen buchstäblich im Regen stehen.

Ich selbst halte das Tempo für zu hoch. Ob ich ihm unser Schild "SLOW!" raushalte? Denn wenn er sich auf Grund des Tempos hinlegt, ist niemandem gedient. Und wie ich noch zaudere - Schild raushängen oder nicht - färbt sich die Mimik unserer Zeitnehmerin sorgenschwanger: Irgendwas stimmt nicht. Hans-Heinrich müsste längst vorbeigekommen sein. Verdammt, was ist los? Zu schnell gefahren und sich flach gelegt! Nein, doch nicht. Christine hat ihn im hinteren Teil der Strecke ausrollen sehen - also ein Defekt! Mist, Mist, Mist, Mist! Von hier aus können wir nichts tun! Hans-Heinrich wird mitsamt Moped von einem Wagen des Veranstalters geholt. Das dauert. 12 Minuten ewiges Warten!

Er kommt! Endlich! Hektik in der Box. Das Serviceteam ist startklar zum Schrauben. Was ist zu reparieren?

Hans-Heinrich ist liegen geblieben!

Rückholen von der Strecke

Oje! Wieder millimeterdickes Eis auf und im Vergaser!

Mit diesem verfluchten Eis ist doch schon der Kapitän der Titanic nicht fertig geworden ... Bei Temperaturen von inzwischen 3°C (!), übersättigter Luftfeuchte und derart hohen Strömungsgeschwindigkeiten ist das kein Wunder - das muss eigentlich vereisen, mit oder ohne Windschutz, denn unser Vergaser steht nicht wie bei den anderen hinter einem wärmenden Motor, sondern über ihm!

Mensch, jetzt nicht lamentieren, ein Plan muss her! Der lautet: Wir verkürzen die Fahrzeiten der Fahrer radikal und enteisen die Fuhre bei jedem Stopp irgendwie. Das wird gehen. Ich steige auf die Maschine, Reiner und Heinz schieben an, die Wankel kommt sofort, und boooaaaaar wieder raus auf die Strecke... und gestutzt: Was ist das? Ich dachte, Regentropfen sind rund, aber die Dinger auf meinem Visier haben eine verdammte Ähnlichkeit mit Kristallen... Egal - jetzt erst einmal lange Gerade, rechts, rechts, links, oooops, war diese Kurve gestern auch schon da? Und vorbei an der Norton, schöne linksrechts-Kombi, dann langer Bogen, in die Kurve rechts, noch mal langer Bogen, jetzt vor der engen Kurve Gas weg, GAS WEG - was zum Teufel? Die Maschine fährt Vollgas, obwohl der Hahn zu ist!! Die Spitzkehre kommt nääääher schnell!schnell! Tudochwas, schnell die Zündung aus! Ujuiijuiiiujiii, reichlich unelegant durch die Kurve, Zündung wieder an, das Ganze noch mal probiert - wieder das Gleiche, sie bleibt auf Vollgas stehen.

Oje, die Maschine ist unfahrbar!

Bevor ich die Start/Zielgerade erreiche, biege ich zerknirscht in die Boxengasse ein, einer bringt den Service-Ständer, die ganze Mannschaft hat schon gesehen, was los ist. Wieder ist alles komplett zugeeist - nach nicht einmal einer halben Runde! Das ist das Ende. Aus, Schluss, vorbei. Nichts geht mehr. Gäbe es jetzt einen Pokal für kollektiv bedröppelte Gesichter, er wäre uns sicher.

Cartagena 2006: Ein paar Tausend Euro weg, 5 Monate Vorbereitungszeit umsonst, X Urlaubstage verbraucht und dann durchnässt, durchgefroren, liegengeblieben und festgestellt, dass es im Langstreckenrennen nichts gibt, was es nicht gibt. Und dass Champagnerlaune und Tränentrauer verdammt nah aneinander liegen.

Und während die Mannschaft Socken und Tränen trocknet, ist für das blue rotary racing team die Zeit für ein Resümee gekommen. Das lautet: Mathematisch betrachtet haben wir unser bislang bestes Langstreckenergebnis eingefahren. Naja, so kann man das auch sehen.

Was zukünftige Langstreckenrennen anbelangt, ist sich das Team auch einig:
So ein Mist! Eine richtig bescheuerte Idee war das! Nie wieder! Bis zum nächsten Mal. Denn Hans-Heinrich plant schon wieder.
Niedersachsen sind stur!

blue racing team

blue racing team

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© 2006 Text und Fotos Ralph Schelle - Hercules Wankel Interessengemeinschaft
Letzte Änderung dieser Seite am 17.04.2006

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