"Sandstrahler" - eine Wankeltour nach Ägypten

von Ralph Schelle

Ägypten-Tour

Auf der Brennerautobahn

 

Sommer ´85: Meine damalige Freundin Dagmar und ich fahren auf der Hercules Wankel nach Ägypten!

 

Unsere Fahrt verläuft über Innsbruck und Bozen, dann geht es auf die in Venedig ablegende Fähre "Espresso Egitto". Nach dreieinhalb Tagen auf See erreichen wir die ägyptische Hafenstadt Alexandria, wo es erstmal einen langen, aber letztlich siegreich bestandenen Papierkrieg gibt - gekrönt von der Erteilung eines überbreiten ägyptischen Nummernschilds.

Von Alexandria soll es erstmal nach Kairo gehen, doch zuvor muss ich mich noch um die vordere Bremse kümmern, ist doch deren Bremssattel undicht geworden. An einer Tankstelle frage ich nach Bremsflüssigkeit. Der vielleicht 10jährige "Tankwart", dessen Kleidung noch unter dem Zustand meiner Werkstattlappen für Kettenreinigungen rangiert, fragt: "DOT 3 or DOT 4?" und ehe ich antworten kann, öffnet er den Bremsflüssigkeitsbehälter, stippt mit dem Finger hinein, leckt ihn ab und verkündet: "DOT 4!"

 

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Prachtvolle Muhammed-Ali-Moschee

 

Gut. Ägypten ist wirklich ein sehr anderes Land.

Wo wollten wir hin? Nach Kairo. Die Hauptstadt Ägyptens hat 12 Millionen Einwohner. Oder 15. Oder 18, je nach Quelle. Wer weiß das schon genau, zählen lässt sich das ohnehin nicht. An den dortigen Fahrzeugen ist alles im Endzustand - bis auf die dauergenutzte Hupe. Als Verkehrsregel gilt: Es gibt keine. Auf den Fahrbahnen Kamele, spielende Kinder, Lastwagen, Esel, Busse, Verkäufer. Und natürlich -selbst auf den City-"Schnellstraßen" entgegenkommende Fahrzeuge.

Auch existieren fast keine Hilfsmittel zur Orientierung. Es gibt keine Schilder, keine Straßennamen, keine Hausnummern. Du fährst einfach durch Basare, durch verfallene Neubauten, durch bewohnte Friedhöfe und durch aufgegebene Dauerbaustellen hindurch. Mit ein bisschen Glück siehst du den Sonnenstand oder den Nil und kannst daraus deine ungefähre Fahrtrichtung ablesen.

Auf den bunten Basaren Kairos üben wir uns im Verhandeln. Man sollte als Käufer mindestens auf Banditenniveau agieren, um auf akzeptable Preise zu gelangen. Ist man sich am Schluss einig, beteuert dann noch jede der Parteien seinen bevorstehenden Ruin.

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Polierte Messingbehältnisse

 

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Straßenszene

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Allgegenwärtig: Kinderarbeit

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Innenstadtwohnung mit Aussicht

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vorbildliche Auslastung von Fahrzeugen

 

Nahe Kairo befinden sich die Sphinx und die nicht minder berühmten Gizeh-Pyramiden. Weit über 100.000 Menschen arbeiteten hier über 20 Jahre (mmh - fast so lang wie am Tiefbahnhof "Stuttgart 21" gebaut werden wird …).

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Zwei Beispiele herausragender Ingenieurskunst: Pyramide und davor ein rotationskolbenmotorbetriebenes Fortbewegungsmittel.

Was die ägyptische Hochkultur vor 4.500 Jahren mit Hilfe eines hochorganisierten Staatssystems sowie mittels Technik und Wissen hier einst erschaffen hat, ist ohnegleichen. Zum Vergleich: Zu dieser Zeit tummelten sich in der übrigen Welt (bis auf wenige Ausnahmen) grobschlächtige Jäger und Sammler, von denen einige gerade mal über gebrannte Tongefäße und geschliffene Steinwerkzeuge verfügten.

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Die von den damaligen Ägyptern erschaffenen Bauten und Gegenstände sind von ungewöhnlich hoher Qualität und nicht zuletzt aufgrund der klimatischen Bedingungen äußerst gut erhalten.

Bedauerlich, dass europäische Archäologen vor nicht allzu langer Zeit Zehntausende altägyptische Artefakte in ihre heimatlichen Städte Berlin, Paris und London überführten - zum Teil mit einfallsreichen Tricksereien. Da wurde auch schon mal die Mumie eines ehrwürdigen Pharaos beim Zoll als Trockenfisch deklariert.

Am Folgetag besuchen wir das weltberühmte Museum in Kairo - und sind geschockt. In Vitrinen Gegenstände aus mehreren Jahrtausenden, zusammenhanglos gestapelt gleich einem Materiallager eines insolventen Hinterhofbetriebes. Fehlerhafte Beschriftungen, gleißende Beleuchtungen auf lichtempfindlichen historischen Farben, Grundmaterialien zerstörende Restaurationsversuche und fehlende Luftfeuchteregelungen schmerzen. Doch genug der Kritik. Einige bewerten dieses Museum durchaus positiv. Beispielsweise Diebe, die sich an den nicht vorhandenen Museumswächtern erfreuen und an den gänzlich unverschlossenen Vitrinen. Und Myriaden von holzfressenden Insekten finden großen Gefallen am originalen Streitwagen des Pharaos Tutanchamun.

Bedauerlich, dass europäische Archäologen vor nicht allzu langer Zeit nur so wenig altägyptische Artefakte in ihre heimatlichen Städte Paris, Berlin und London überführten.

Ein paar Tage später wankeln wir durch die Wüste in die 120km südwestlich von Kairo gelegene Oasenstadt al Fayyum, deren unter dem Meeresspiegel liegender Boden sehr fruchtbar ist. Diese Gegend wird als der Garten Ägyptens bezeichnet, in welchem hauptsächlich Pfirsiche, Mandarinen, Orangen, Granatäpfel, Kaktusfrüchte und Weintrauben gedeihen.

Auch gibt es Gewürze in allen Varianten, welche wir zwar meist namentlich kennen, die aber hier so intensiv duften, wie wir es noch nie zuvor erlebten.
Ein einfaches Schlendern durch ägyptische Märkte ist nicht möglich. Grundsätzlich werden Waren von allen Seiten, lautstark und mit Körperkontakt angepriesen.

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Straße nach Al Fayyum

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Leckere Kaktusfrüchte

Von Al Fayyum geht es südwärts. Mehrere Hundert Kilometer.

Wir lernen schnell: Nachtfahrten sind keine gute Idee. Ein funktionierendes Licht zu haben und dieses auch noch zu verwenden, scheint irgendwie verpönt zu sein; wir schalten es trotzdem ein. Gleichwohl ist es sehr anstrengend, nachts seinen Weg zu finden, im Slalom vorbei an Kamelen, verunfallten Lastkraftwagen und Tierkadavern.

Die Nacht spült uns in ein Hotel mit, sagen wir es mal vorsichtig, nicht ganz so hohen Standards. Unsere Betten, die bei der kleinsten Bewegung beißende Urinschwaden von sich geben, werden bereits von Tausenden Vielfüßigen bewohnt; am elektrisch beheizten Duschkopf des gemeinschaftlichen Stockwerksbades liegen blanke 220V-Kupferdrähte und die Wände unseres Zimmers zieren menschliche Exkremente in verschiedenen Zersetzungsstadien. Was Schmutz anbelangt, sind Dagmar und ich ziemlich belastbar, aber hier ziehen wir zum Ruhen weder Schuhe noch Overalls aus.
Da kommt es nicht ungelegen, dass unsere Nacht stark verkürzt wird. Um 3:30 Uhr ruft der lokale Muezzin in infernalischer Lautstärke mittels eines vor unserem zerbrochenen Fenster befestigten Hornlautsprechers zum Gebet. Wir nehmen es als willkommenen Anlass zu packen und weiterzufahren.

Frühstück. Es gibt Tee, welcher in Ägypten weniger eine Flüssigkeit ist, sondern eher braun gefärbter Zucker. Und es gibt frisches Brot, welches hier stets eine beeindruckend große Anzahl eingebackener Insekten und auch mal Katzenhaarbüschel enthält, ein Problem, das von uns mit einer optischen Übertünchung gelöst wird: Dick Marmelade drauf, dann sieht man es nicht. Apropos Brot: Dessen Preis ist selbst für ägyptische Verhältnisse absurd niedrig, was im Übrigen auch für viele andere Grundnahrungsmittel gilt. Kein Wunder - diese werden (bis zum heutigen Tage) stark subventioniert. Das jedoch hat bedenkliche Folgen: Brot, das morgens gekauft, aber bis zum Abend nicht verzehrt wird, wird in Ägypten einfach weggeschmissen.

Der nächste Stopp heißt: Karnak / Tal der Könige. Überwältigend.
Es ist Hochsommer und bei den herrschenden Umgebungstemperaturen von 48°C (im Schatten, den es meist nicht gibt) sind fast keine Besucher unterwegs; so stehen wir meist ganz alleine in atemberaubenden Tempelanlagen.
In diesem Tal der Könige sind uns 2 Bauten besonders im Gedächtnis geblieben:

Zum einen der sagenhafte, unglaublich reich verzierte, fast 3.500 Jahre alte Tempel der Königin Hatschepsut.

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Hatschepsut-Tempel

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Mennon-Kolosse

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Ramses II - weit über 1000 Tonnen schwer und 23m hoch.

Einem nachfolgenden Perserkönig war das zu hoch - er ließ sie zerstören!

Dessen Wandmalereien zeigen u.a. praktische Tipps für das korrekte Verhalten im Jenseits. Unglaublich, wie sich all die (organischen!) Farben über Tausende von Jahren gehalten haben.

Der Hatschepsut-Tempel ist eine architektonische Meisterleistung des damaligen Chefarchitekten Senenmut. Dieser hat sich hier inmitten all der Bilder und Statuen heimlich selbst verewigt; eine Abbildung zeigt ihn listig zwinkernd.
Ich hoffe für ihn, dass es seine Chefin niemals erfahren hat.

Das zweite große Bauwerksensemble (ohne jetzt andere degradieren zu wollen) sind die Memnon-Kolosse, zwei abseits aller Tempelanlagen platzierte Statuen, die stolze 18 Meter hoch sind.

Über 1.000 Jahre nach Fertigstellung kam es - mutmaßlich aufgrund eines schwächelnden Wartungspersonals - zu Rissen in den Kolossen. Was zur Folge hatte, dass bei Sonnenaufgang (und den damit verbundenen Aufheizvorgängen) stets seltsame, sphärisch klingende Töne zu hören waren.

Im Jahre 199 nach Christi war ein römischer Kaiser von diesen beiden "singenden" Kolossen so angetan, dass er sie restaurieren ließ - mit dem Ergebnis, dass sie dann (aufgrund der nun verschlossenen Risse) verstummten.

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Straße in der Wüste

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Sandpiste

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Kein Sprit, kein Wasser! Einzig von meiner Blödheit ist genug da!

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Wüste, Sand, Wüste ...

Vom Tal der Könige fahren wir nach Osten Richtung Rotes Meer. Es wird durch Wüstengebiet gehen. Blöd, dass die Tankstelle im letzten Ort vor der Wüste geschlossen hat. Ok, trotzdem los - schließlich haben wir ja noch einen vollen Reservekanister dabei.

Die Straße wird irgendwann zur Sandpiste. Der Sand selbst ist fest und, naja, manchmal eben auch nicht. Mehrmals sinkt die überladene Wankel mit ihren schmalen Straßenreifen ein und muss dann mühsam herausgeschoben werden, was der hinten schiebenden Person bei durchdrehendem Hinterrad zuweilen eine Sanddusche beschert.

Die Wüste wird karger, einsamer, heißer. Dann gehen uns erst das Benzin im Tank und schließlich noch die 10 Liter des Reservekanisters aus. Jetzt stehen wir reichlich blöd da - zumal wir auf der Piste irgendwo unsere Wasserflaschen verloren haben.
Was nun? Fahrspuren im Sand lassen hoffen, dass dieser Weg nicht nur von uns genutzt wird. So ist es auch: Nach einer Stunde kommt ein verlotterter PKW vorbei, den ich anhalte.

Während Dagmar am Motorrad bleibt und auf unser Gepäck aufpasst, nimmt mich der Fahrer zu seiner Arbeitsstelle mit, eine einsame amerikanische Raffinerie, auf dessen streng bewachtem Gelände sich tatsächlich eine Tankstelle befindet.
An dieser Textstelle muss man einfach mal zugeben, dass dies eine unsägliche Aneinanderreihung von Fehlentscheidungen war:

- Mit zu wenig Sprit in die Wüste gefahren
- Wasserkanister unzureichend befestigt
- Freundin allein in der Wüste zurückgelassen
... Wie bescheuert ist das denn?

Mit nun hoffentlich ausreichend Sprit geht es weiter. Die Piste wird schlechter und schlechter und die 85mm Federweg der hinteren Stoßdämpfer sind hier einfach etwas knapp. Doch gelangen wir unbeschadet an die Küste des Roten Meeres. Hier fallen uns erstmal etliche mit hohen Mauern hermetisch abgeriegelte Feriencamps auf, in denen Urlauber in klimatisierten Bussen mit schwarzgetönten Scheiben ein- und ausgefahren werden, die so ihre Tage in einer ganz eigenen, abgeschirmten Welt verbringen, bedient von in Landestracht eingekleideten Menschen, von denen sie annehmen, es seien Ägypter.

Das Rote Meer ist ein absolutes Schnorchelparadies. Im warmen Wasser tummeln sich Tausende bunter Fische. Wir können uns kaum sattsehen an sowas und so bleiben wir ein paar Tage hier. Über den Suezkanal gelangen wir nach Sinai und sind damit per Kontinentdefinition in Asien.

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Schnorchelparadies am Roten Meer

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Endstation in El-Arish

Nach den letzten kriegerischen Auseinandersetzungen mit Israel gibt es hier etliche Militärkontrollen. Unsere Pässe werden von kontrollierenden Soldaten pe-nibelst gelesen - und zuweilen an dem Punkt, wo die Seite mit dem Passbild aufgeblättert wird, eiligst herumgedreht, weil dann bemerkt wird, dass man den Pass die ganze Zeit verkehrt herum gehalten hat. Zumindest ich sollte mich hierüber nicht lustig machen, denn auch ich fahre, wie ich erst am letzten Tag in diesem Land erfahre, mit einem ägyptischen Nummernschild, welches von mir in Unkenntnis der Schrift verkehrt herum montiert wurde.

Beim Anblick von am Mittelmeer gelegenen Ortschaft el-Arish müssen wir schwer schlucken, denn dies ist die elendste Stadt dieser Reise. Am Strand stehende Palmen wurden hier rigoros abgeholzt. An deren Stelle türmt sich eine Müllhalde, deren Ende sich nicht erkennen lässt. Auch im Wasser treiben Tonnen Unrat. In angefangenen und dann doch nie fertiggestellten Gebäudegerippen hausen Menschen ohne Perspektive. In der ganzen Stadt ist es unglaublich dreckig, und was uns besonders auffällt, ist die hohe Anzahl schwer beschädigter Häuser, defekter Straßen sowie gewollt zerstörte Infrastruktur. Es ist unverständlich, dass hier eine komplette Stadt mit immerhin über 130.000 Einwohnern scheinbar ohne Staat, ohne Stadtverwaltung und auch ohne jegliches bürgerschaftliches Engagement in die Verwesung übergeht.

Wir sprechen mit etlichen Stadtbewohnern darüber. Wenigstens für die Beschädigungen haben sie eine Erklärung: Es sind die Folgen des Sechstagekriegs, als Israel u.a. die Sinai-Halbinsel besetzte. Doch jetzt mal unter uns: Das war 1967, und nun schreiben wir 1985…
Vom Sinai geht es zurück nach Alexandria, wo schon das italienische Fährschiff Espresso Egitto auf uns wartet.

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Fähre in Alexandria

Zeit, Resümee zu ziehen:

Obgleich die Wankel beim langsamen Herunterdrücken des Kickstarters schlimme Kratzgeräusche von sich gibt (was jedoch nur am Sand liegt, der sich zwischen Polrad und Lichtmaschinenspulen tummelt), ist sie mit ihren 69.000 km völlig unversehrt (und wird es auch auf der Heimfahrt bleiben); sogar die Vorderradbremse ist aus unerfindlichen Gründen wieder dicht.
Auf der Fähre wird es dann ruhig. Begleitet vom Stampfen kolossaler Schiffsdiesel ist es an der Zeit, das Erlebte passieren zu lassen.

Ägypten.
- Das Land mit der großartigen, vergangenen Hochkultur.
- Der ultrafeine Sand, der uns ein ständiger Begleiter war.
- Die Zuckerkonzentration im Tee, die ihn fast essbar werden lässt.
- Die bunten, lauten Basare.
- Hektik, Haschisch, Bakschisch.
- Und Lebenslust, die sich trotz der Armut und der mangelnden Hygieneverhältnisse tapfer aufrecht hält.

Schnitt: Wir schreiben das Jahr 2019.
Die Fahrt nach Ägypten hat einen großen Eindruck hinterlassen - auch bei Dagmar, mit der ich heute wieder einen regen Kontakt habe. Deren Tochter, inzwischen selbst reiselustig, fragt ihre Mutter immer wieder nach deren früheren Reisen. Doch Dagmar kann oder möchte von all den Ländern und Städten, die sie in den nachfolgenden Jahrzehnten meist per Flugzeug besuchte, nur wenig berichten.

Nur von diesen Motorradreisen, zum Beispiel der nach Ägypten, davon erzählt sie immer ausgiebig!

© 2019 Ralph Schelle - Hercules Wankel IG

Letzte Aktualisierung am 05.05.2019  

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