40-Sekunden-Pokal

von Ralph Schelle

Ich liebe Kapern. Und in meinem leckeren Mittagessen, ein Nudelgericht mit Beimengungen, die den Eindruck erwecken, als wären es Überreste eines jugoslawischen Partisanen, tummeln sich reichlich Kapern.

Rijeka 2018 Rijeka 2018

Wir befinden uns in der lärmstarken Verpflegungsbude namens "Box 000" an der Rennstrecke Grobnik/Rijeka. Unser Team, bestehend aus Martina Gratzl, Katrin Ohlau, Reiner Nikulski und den Fahrern Mike Menyhart und Ralph Schelle, wechselt zwischen Box 000 und Box 11, in welcher wir Vorbereitungen für die nächsten drei grab-the-flag-Rennen treffen.

Der erste von drei Renntagen ist jedoch von Pannen aller Art geprägt: Es ist super-stürmisch, beide Fahrer sind gesundheitlich angeschlagen, doch dies alles wiegt nicht so schwer wie die unglaublichen Zickereien unserer neuen Rennmaschine. Nur mit schweißtreibenden Schieben und dem intensiven Gebrauch benachbarter Startmaschinen kann sie kurzzeitig zum Laufen gebracht werden.

Rijeka 2018

Es dauert eine Weile, bis wir realisieren, dass gleich mehrere eklatante Fehler vorliegen:

- Eine der die mechanische Verbindung herstellende Schraubhülsen des sich zwischen Zündungs-Infrarotgeber und Zündelektronik befindenden Steckers zieht die Steckerkomponenten nicht in ihre vorgesehene Position, worauf die Steckverbindung nicht mehr definiert zusammengehalten wird:

- Die Vergaserabstimmung passt nicht.
- Im nagelneuen Gfk-Tank befinden sich Verunreinigungen; in der Folge ist einer der beiden Benzinhähne sowie der Benzinfilter verstopft.
- Prinzipbedingt ist der Umfangseinlass-Motor mit offenem Auspuff sehr startunwillig. Die bei niedrigen Drehzahlen nachteilhaften Saugvorgänge kann man beim Einsprühen von Starthilfespray sogar sehen: Der große Dellorto-Vergaser saugt den Sprühnebel zwar willig ein, speit ihn jedoch im nächsten Moment wieder komplett aus.

Die Fehler können bis auf den Letztgenannten behoben werden, gleichwohl enden gleich die ersten Probefahrten mit einem desaströsen Motorschaden. Nachdem der Motor willig in fünfstellige Drehzahlbereiche drehte, flog der im Kolben sitzende Seegerring davon und ruinierte dabei sowohl das Seitenteil als auch die unersetzbare Laufbahn. Wir wussten von diesem Problem, gleichwohl war es in unserem Qualitätsmanagement abgehakt, da wir annahmen, mit einer deutlich verstärkten Seegerringausführung von Norton ausreichend reagiert zu haben. In der Folge ist gleich am ersten Abend eine Sonderschicht angesagt: Motortausch! Zum Einsatz kommt der 2015er-Rennmotor. Der ist zwar bewährt, hat aber keinen Direkt-Umfangseinlass und ist daher deutlich leistungsschwächer.

Rijeka 2018

Nichts klappt! Wenigstens ist dem Team die gute Laune nicht abhanden gekommen.

Nach dem ersten Tag voller Pleiten, Pech und Pannen läuft es am zweiten Tag immer noch nicht rund; mit knapper Not schafft es Mike gerade noch, das vorgeschriebene Qualifying zu fahren. Ergebnis: Startplatz 15 von 22 Startern. Das ist in etwa die Position, die wir auch mit dem blauen Renner in den Vorjahren hatten.

Das erste 20-Minuten-Sprintrennen fahre ich. Mit einem Drehzahl-messer, der zwischen-zeitlich den Geist aufgegeben hat. Überstarke Renngegner sind schnelle Morinis, Ducatis und Yamaha RDs - und, was ich als besondere Schmach empfinde, mehrere Yamaha XS 360, ein Brot-und Butter-Motorrad, das üblicherweise zu nichts anderem tauglich ist als zur täglichen Fahrt in die Arbeit oder zum Einkaufen. Doch gerade diese XSen (ist dies der grammatikalisch korrekte Plural von XS?) ziehen mir davon wie ein Casanova dem Zugriff heiratswilliger Damen.

Rijeka 2018

Am Ende ist in diesem Rennen nicht mehr als Platz 19 (von 22) drin. Man könnte jetzt lamentieren, dass das Motorrad unnötig hoch beladen war, weil Reiner den großen Langstreckentank vor dem Start randvoll befüllte, um ihn nach dem Rennen zur Spritverbrauchsmessung messbecherweise wieder aufzufüllen. Reicht aber nicht als Ausrede. Es ist hinlänglich bekannt, dass wir bei den schnellen grab-the-flag-Sprintrennen generell wenig reißen.

Trotz all der genannten technischen Schwierigkeiten und der doch etwas frustrierenden Platzierung auf den hinteren Rängen muss auch ein Lob ausgesprochen werden: Erstens hat das ganze Team dieses Ding trotz aller Widrigkeiten erfolgreich zum Laufen gebracht. Außerdem sind wir reichlich froh, dass alles weitgehend stimmig ist und dass in starken Schräglagen nichts aufsetzt (von meinen Schuhspitzen mal abgesehen). Das Fahrwerk ist trotz der zweitklassigen Dämpfer ausgezeichnet ausbalanciert, und irgendwie ist es auch vorteilhaft, dass die Vorderradbremse nur mäßig wirkt, denn so überfordert sie den Reifen nicht. Zur Erinnerung: wir fahren diesmal mit Straßenreifen!

Am dritten Renntag soll es ursprünglich ein zweites Rennen geben, das jedoch ausfällt, weil Streckenreinigung und Ambulanz-wagen noch aktiv sind.

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Autsch! Das Motorrad des Kollegen aus der Nachbarbox wurde beim Unfall in 2 Teile zerrissen.
Der Fahrer sieht zum Glück besser aus.

Somit kommen wir gleich zum Langstreckenbericht:

Uns ist bewusst, dass dies ein sehr schweres Rennen werden wird. Die Konkurrenz ist in all den Jahren fahrerisch und motortechnisch deutlich potenter geworden, während wir dagegen mit einem 2015er-Motor antreten werden, der nicht viel mehr Leistung hat wie manch hergerichteter Motor in straßenzugelassenen W 2000.

Zudem haben wir noch mit etwas sehr Unschönem zu kämpfen. Basierend auf unserem Wissen zu den Verbräuchen vergangener Rennjahre (8-9l/100km), ließen wir speziell für das kommende zweistündige Langstreckenrennen einen Tank anfertigen, der ausreichende 20,5l fasst. Doch gestern stellte sich heraus, dass unsere Rennmaschine erstmalig über 11,5l/100km konsumiert. Woran das jetzt genau liegt, können wir so kurz vor dem Langstreckenrennen nicht mehr klären. Fakt ist: Mit einem solchen Verbrauch werden wir während des Rennens nachtanken müssen, ein Vorgang, den wir aus Zeit- und Sicherheitsgründen (nicht eingeübte Betankungen über einem glühenden Krümmer!) unbedingt vermeiden wollten und nun doch durchführen müssen. Darauf nicht vorbereitet, haben wir auch keine funktionierende Schnellbetankungsanlage dabei. Gut, da müssen wir jetzt durch.

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Man kann das jetzt hin- und herrechnen, wie man will:
Am Ende kommt immer ein seltsam hoher Verbrauch von über 11 l /100 km heraus.

Unsere schärfsten Konkurrenten werden wohl Guibert/Perrin auf Ducati 350, Brandes/Schmoll auf Yamaha RD und Yamaha XS 360 sowie Heise und Busse auf Morini 3½ und Yamaha RD sein. Wer jetzt durcheinanderkommt, weil pro Team mal 1 Motorrad und mal 2 Motorräder genannt wurden: Beim Langstreckenrennen ist es freigestellt, ob ein Team mit 1 oder 2 Motorräder antritt. Dagegen vorgeschrieben sind 2 Fahrer und 3 Fahrerwechsel.

Es ist 15:45 h und das legendäre Langstreckenrennen wird gestartet!

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Jetzt geht´s los: Mike ist der Startfahrer!

Mike ist als erster von uns dran; seine Rundenzeiten liegen bei 2:09. Das lässt hoffen. Zwar fahren unsere Konkurrenten wie beispielsweise Brandes/Schmoll beachtliche 1:57er- und Guibert/Perrin 2:00er-Zeiten und sind damit für uns außer Reichweite. Dagegen fährt das Team Tabu La Rasa momentan durchschnittlich 2:17er-Zeiten. Wenn das so bleibt, sind wir auf Platz 3 und damit auf dem Podium.

Doch es ist ein Langstreckenrennen, und da passiert immer irgend etwas. Zum Beispiel bei unserem ersten Boxenstopp, als Mike hereinkommt und die Maschine an mich übergibt. Kein Helfer soll hier eingreifen; der Wechsel wird ausschließlich von den Fahrern vorgenommen. Doch Reiner möchte eben doch helfen, hält von vorne den Lenker, gerät dabei leider an den Zündungsschalter - worauf die Maschine ausgeht! Jetzt muss Reiner zur Strafe anschieben...und anschieben…und anschieben…und anschieben, doch der verdammte Motor springt nicht an! Schnell ist das Ende der Boxengasse (lediglich in dieser ist das Anschieben erlaubt!) erreicht. Reiner, stets legalen Handlungen zugeneigt, weist mich an, gemäß den Vorschriften die Rennanlage zu verlassen, um weitere Startversuche abseits der Boxengasse vorzunehmen. Das wäre zwar

rechtskonform, würde uns aber elend viel Zeit kosten. Am Beginn der Beschleunigungsspur stehend, schreie ich nach hinten "SCHIEB!" - und Reiner schiebt nach Leibeskräften, was inzwischen auch der aufmerksamen Veranstalterin nicht entgangen ist, die, um uns an diesem Vorhaben zu hindern, uns nun ihrerseits hinterherrennt. Vermutlich aus Angst, von ihr erwischt zu werden, gibt Reiner noch einmal alles, worauf der Motor seinen ersten Huster macht, dann anläuft und ich -puuh!- in die Rennstrecke einbiege.

Die Veranstalterin, bei der wir schon in den vergangenen Jahren mehrfach unangenehm auffielen, drückt alle verfügbaren Augen zu. Bestraft sind wir ohnehin genug. Diese blöde Aktion hat uns über 25 Sekunden gekostet.

In der Annahme, wir lägen auf dem dritten Platz, muss ich feststellen: Der wird wohl anderweitig vergeben, denn auch das Team Tabu la Rasa hat einen Fahrerwechsel vorgenommen und der nun eingesetzte Fahrer Busse ist auf seiner schnellen Yamaha RD mit 2:02er-Zeiten bald 10 Sekunden schneller als ich. Podest, ade!

Doch es ist erst Halbzeit. Unser Team legt nach und absolviert den zweiten Boxenstopp rekordverdächtig schnell.

Mike, wieder auf der Strecke, fährt 2:10er-Zeiten. Heise/Busse dagegen benötigen für ihren zweiten Boxenstopp fast doppelt so lang, und der jetzt wieder eingesetzte Heise fährt mit seiner Morini zahme 2.18er-Zeiten. Damit sind wir wieder auf dem dritten Platz. Dennoch wird es sehr eng werden, denn bei unserem dritten und letzten Stopp müssen wir (im Gegensatz zu den Teams mit 2 Motorrädern) tanken, und wir verfügen ja diesmal, wie bereits berichtet, nicht über eine Schnelltankanlage.

Reiner, auf Grund hörbarer Aussetzer bei unserer Rennmaschine in Sorge, der Sprit könnte früher als errechnet ausgehen, möchte möglichst bald nachtanken und bittet Katrin, den dritten Boxenstopp anstatt in der ursprünglich geplanten 41. bereits in der 36. Runde vorzunehmen.

Rijeka 2018

Na also, geht doch: rekortverdächtiger zweiter Boxenstopp

Letzter Stopp. Mike kommt rein, Motor aus (da Vorschrift beim Tanken!), Reiner füllt Sprit ein, ich auf die Maschine, anschieben, das Motorrad springt sofort an, raus auf die Strecke!

Rijeka 2018

Der dritte Boxenstopp wird vorgezogen

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Jetzt geht es ums Ganze. Von Tabu La Rasa ist wieder der schnellere Busse unterwegs. Ich fahre mehrfach 2:09er-Zeiten, mehr geht nicht. Nach 35 Minuten sehe ich endlich, endlich die schwarz-weiß-karierte Zielflagge.

Podest oder nicht, alle sind erleichtert, denn ganz ehrlich: Es sah eine ganze Weile danach aus, dass wir mit dieser völlig neu konzipierten Maschine und all ihren anfänglichen Aussetzern gar nicht zum Start antreten können, geschweige denn die Zielflagge erreichen werden. Und nun haben wir diese eben doch erreicht. Wer hätte das gedacht?

Bestens gelaunt begeben wir uns zur großen Siegerehrung. Jetzt wird es spannend. Ohne, dass es schon verkündet wurde, ahnen wir zurecht: Die ersten beiden Plätze sind mit Guibert/Perrin und Schmoll/Brandes gesetzt und ich vermute, dass wir leider auch hinter Heise/Busse von Tabu La Rasa liegen.

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Das Rennteam Süd

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Doch als die Veranstalterin die Sieger des dritten Platzes verkündet, werden unsere Namen aufgerufen! YES! Auf dem Podium! Dritter Platz! Was für ein schöner Moment, die ersehnten Pokale in den Händen zu halten!

Rijeka 2018

Da freuen sich die Herren Rennfahrer

Im Applaus badend, begeben wir uns mit nicht abstellbarem Dauergrinsen zu unserem Team - worauf es alsbald zu einer schicksalsschweren Durchsage der Veranstalterin kommt: Die Fahrer Schelle/Menyhart mögen bitte ihren Pokal wieder zurückgeben, da es leider seitens des Veranstalters einen Fehler gab; ein in unserer Klasse gemeldetes Team wurde versehentlich einer anderen Klasse zugeordnet. Da just diese Fahrer besonders schnell unterwegs waren, erhalten sie Platz 1, worauf alle Nachfolgenden um einen Platz nach hinten rutschen.

Mit hängenden Schultern geben wir die Pokale zurück - und lernen für die Zukunft: Sollten wir künftig noch einmal einen Pokal erhalten, werden wir nach dessen Aushändigung durch das geöffnete Schiebedach eines mit laufendem Motor bereitstehenden Fahrzeuges hineinhechten, um davonzufahren und anschließend 30 Jahre lang unauffindbar in Ost-Sibirien unterzutauchen.

Nun könnte man denken, dass die Geschichte an dieser Stelle zu Ende sei. Ist sie aber nicht. Zeitnehmerin Katrin vermutete bereits vor dem Rennen eine chronische Pokalunterversorgung. In weiser Voraussicht besorgte sie vor der Veranstaltung kleine, aber feine Pokale, die sie den Teammitgliedern rund um das neue, orangene Rennmotorrad feierlich übergibt.

Ein Rennteam, welches sich selbst mit Pokalen versorgt - wir haben wirklich an alles gedacht. Einzig Kapern haben wir nicht dabei. Aber die gibt es ja in der Box 000.

© 2018 Ralph Schelle - Hercules Wankel IG

Letzte Aktualisierung am 04.01.2019  

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