Restaurierungsobjekt Nr. 319
Das bewegte Leben einer noch jungen W2000
von Gerd Hilling

Im September 2014 kaufte ich eine W 2000 in einem recht verlebten Zustand. Was mich anzog, war die geringe Laufleistung von nur 6000 km. Als ich das Motorrad sah, konnte ich nicht glauben, dass sich dieses Fahrzeug nur so wenig bewegt haben sollte! Wie konnte es sein, dass innerhalb von nur drei Jahren und zwei Vorbesitzern das Motorrad so aussah?

Baustelle Nr. 319

Der ganze Rahmen, einige Anbauteile, Hauptständer, u. a. waren, ohne auseinander gebaut zu sein, sehr dilettantisch schwarz bemalt. Und erst der Tank! So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Der ganze Tank sah aus wie aus groben Holz geschnitzt. Die Bemalung spröde und splissig. Da dürfte viel Spachtelmasse darunter sein. Und dann diese Linierung! Einen so schlecht gemachten Wankel-Tank hatte ich noch nie gesehen. Er war noch dazu etwa vier Kg schwerer als normal - das lag an der breiartigen Innenkonservierung, mit der er so dicht ausgefüllt war, dass einige lose drinnen liegende Stücke über 6 cm dick waren.

Sehr komisch das Ganze! Dabei konnte ich den Easy-Rider-Lenker sowie den allgemeinen Zustand ja noch verstehen.

Baustelle Nr. 319

Was war geschehen?
Das Motorrad war trotz dieser Misshandlungen damals mit 6000 km Laufleistung praktisch doch noch neuwertig.

Auch ich hatte damals meinen Tank umlackiert, weil mir die alte Farbe nicht mehr gefiel. Schicki-Micki wurde angebaut, Sitzbänke weiß bezogen usw. Aber meine Wankel hatte damals schon zigtausend Kilometer gelaufen. Hätte ich damals ein Motorrad mit so wenig Laufleistung besessen, wäre es für mich neuwertig gewesen und ich hätte es entsprechend behandelt. Wie also lässt sich dieser Zustand erklären?

Vor Ort war an einem Startversuch nicht zu denken. Solche Motorräder sollten auch nicht mit Gewalt ins Leben gerufen werden, damit macht man mehr kaputt als alles andere.
Der Motor ließ sich drehen und jede Kammer hatte auffallend guten Druck. Das war für mich entscheidend.
Mir fiel auf, dass das Kabel der Lichtmaschine nicht durch die Führungsnut im Zwischengetriebe führte, wie es soll, sondern vorher an der Unterdruckdose nach oben zum Rahmen. Hier war also schon mal jemand bei, war der Motor schon mal auf?

Egal, der Preis war schnell verhandelt, aufgeladen und ab damit nach Hause. Nachdem ich zu Hause Zeit hatte mir alles anzuschauen, war auf dem zweiten Blick schon zu erkennen, das es sich um gutes Material handelte. Alles dran, nichts verbeult. Mißhandelt, aber nicht groß verbastelt. Die junge Unberührtheit ist gut zu erkennen. Die 6000 km Laufleistung scheinen stimmig. Nach etwas Vorbereitung konnte der Motor Probe gestartet werden. Und es war ein Ohrenschmaus! Dieser Motor läuft richtig gut. Ich konnte mich gar nicht satt hören, so kernig klingt der. Später werde ich es genau wissen, aber das ist schon mal ein gutes Zeichen.

Jetzt kann die Arbeit beginnen, denn mit diesem Motorrad habe ich etwas ganz Besonderes vor. Ich habe da einen tollen Plan. Darüber werde ich noch im Detail berichten, aber der Reihe nach.

Motor- und Getriebeeinheit (Dezember 2014)
Als Erstes trenne ich die gesamte Getriebe- und Motoreinheit vom Fahrwerk. Ist ein wenig wie Weihnachten, Geschenke auspacken. Was verbirgt sich da nach so vielen Jahren? Habe ich Glück gehabt oder Pech? Jetzt entscheidet es sich.
Als erstes Getriebeöl ablassen. Seltsamer Weise ist es hell und sauber. Gutes oder schlechtes Zeichen?
Es kann beides bedeuten. Jetzt wird der Kupplungsgehäusedeckel abgeschraubt. Oh nein, bitte nicht! Diesen Geruch kenne ich. Er ist so penetrant, dass er fast schon wieder angenehm ist. Einmal gerochen, nie wieder vergessen. Er verheißt nichts Gutes und im besten Fall "viel Arbeit".
Die Sieben-Scheiben-Kupplung war mit krustig verklumpten altem Öl über und über versaut. Allerdings mit dem Fingernagel zu reinigen. Das bekomme ich wieder hin. Auf dem Gehäuseboden ist die Ablagerung bis zu 10 mm dick, aber weich. Das sieht nach einer Totalrevision aus. Habe ich noch genug Nitro, Lager und Dichtungen?

Mit den Getrieben ist das immer so eine Sache, eigentlich traut man sich da nicht gerne ran. Gottseidank habe ich dieses Jahr schon zwei Getriebe komplett überholt. Mit Lagerwechsel, Schaltwalzen und allem drum und dran. So schlimm ist das gar nicht und man ist auf der sicheren Seite. Beim Trennen von Getriebe und Motor fiel mir auf, dass die beiden O-Ringe auf der Kupplungsseite fehlten. Also doch schon mal ab gewesen. Aber wer vergisst beim Zusammenbau so wichtige Teile?

Als ich mit diesen Gedanken beim Getriebe war, habe ich probeweise versucht, die Gänge durchzuschalten. Dabei fiel mir auf, dass ich den zweiten Gang nicht rein bekam. Auch nach mehreren Versuchen nicht. "Kann doch nicht sein." "Vielleicht geht es ja nur im Betrieb." Ich habe eigentlich vom Getriebe die wenigste Ahnung, aber ich machte mir eine Notiz für später: "Zweiten Gang checken".

Ein paar Tage später baute ich das Getriebe auseinander, um es zu überholen. Als ich die Schaltwalzen in der Hand hielt, bemerkte ich den Schaden. Losrad des zweiten und Schieberad des ersten Gangs waren beide defekt. Alle Zähne beider Räder waren abgefressen. Es fehlte sogar die Distanzbuchse (Nr. 3) vor dem Losrad des zweiten Gangs völlig. Darum rutschte das Losrad auf das Schieberad und beide zerstörten sich. War das vielleicht der Grund für die frühe Stilllegung?
Wurde da am Getriebe gearbeitet und hat jemand es nicht wieder richtig zusammen bekommen? Sehr wahrscheinlich, wenn sogar Teile fehlen!

Wie verhält sich so etwas eigentlich in der Praxis? Kann man nur den zweiten Gang nicht einlegen oder ist das Getriebe gar nicht schaltbar? Egal. Getriebe komplett gereinigt und überholt. Fehlende und defekte Teile ersetzt, alle Lager erneuert. Jetzt die Schaltwalzen wieder zusammengesetzt. Alles einbauen, Planflächen reinigen, Dichtung rein, und Getriebe wieder zusammensetzen! Der Ausrückhebel war wie neu, spielfrei. Druckstangen nicht abgenutzt, Antriebsritzel neuwertig. Kein Wunder nach erst 6000 km.

Beim Durchschalten der Gänge kam so richtig Freude auf. Alles funktionierte nun 1 A! Auch der zweite Gang war wieder da. Fertig, wie neu. So macht Restaurieren Spaß. Nach dem ich ca. 10 Mal rauf und runter geschaltet hatte, war es Zeit für die nächste Arbeit, den Motor. Aber halt: Wo kommen denn diese beiden Distanzbuchsen her? Die gehören doch zwischen die Getriebehälften. So ein Mist, alles noch einmal! Hier baue ich später noch die neue Kupplung von Ralph ein, zu der ich dann in der nächsten Saison mehr sagen kann.

Der Motor
Jetzt ist der Motor dran. Dies ist eine sehr spannende Angelegenheit. Hier wird schnell über ein paar tausend Euro entschieden. Gelaufen ist der Motor ja toll, aber das muss nicht unbedingt etwas bedeuten!

Als erstes fällt mir die 5 mm dicke Bakelit-Dichtung zwischen Ansaugkrümmer und Seitenteil Endseite ins Auge. Die kenne ich eigentlich nur von den Vorserienmotoren. Oder waren eventuell die ersten Serienmaschinen damit auch bestückt?

Zuerst nehme ich das Zwischengetriebe ab. Guter Zustand, das Kegelrad hat dieselbe Nummer (138) wie das Gegenstück im Getriebe. Schon mal ein gutes Zeichen. Lager scheint absolut in Ordnung. Als ich den Anlasser abbaute, bemerkte ich, dass der Distanzring fehlt. Hm, Mist. Diese Distanzscheiben sind wichtig. Die Anlasser bei den Serienmaschinen und den Vorserien sind identisch. Allerdings unterscheiden sich die Zwischengetriebe deutlich voneinander. Sie sind bei der Serie rund 3 mm dicker als bei der Vorserie. Auch die Nut für das vom Motor kommende Kabel wird bei der Vorserie nicht benötigt. Desweiteren haben die Vorserien ein anderes Starterzahnrad. Im Ergebnis ergibt das bei der Serie eine wesentlich geringere Entfernung vom Anlasserzahnrad zum Starterzahnrad. Dieser Unterschied wird durch die Distanzscheibe ausgeglichen.

Bei der Kontrolle der Zähne vom Starterzahnrad und Anlasserzahnrad war an diesem Motor alles in Ordnung. Glück gehabt! Der Anlasser funktioniert auch. Die Distanzscheiben habe ich mir mal nachfertigen lassen. Also kein Problem. Lüfterrad, Schwungmasse, Lichtmaschine - alles ok. Weiter geht's.

Was jetzt noch übrig bleibt, ist das Herzstück. Der reine Motor, bestehend aus Seitenteilen, Trochoide, Exzenterwelle, Läufer und Dichtleistensatz. Erst einmal sorgfältig von außen betrachten. Wie sehen die Gewinde aus, vor allem die der Motorhalterung. Stiftschrauben zur Getriebebefestigung noch Original und ok? Eine vorhandene Unterdruckdose (ob defekt oder nicht) ist meistens ein gutes Zeichen. Auch aus den Stiftschrauben zur Krümmerbefestigung lässt sich einiges herauslesen. Bei so einer Sichtprobe trennt sich die Spreu vom Weizen. An diesem Motor war alles sehr zufriedenstellend, er sah sogar unberührt aus. Ich hatte wirklich den Eindruck, dass er noch nie geöffnet worden war. Es könnte bei 6000 km auch so sein.

Baustelle Nr. 319

Jetzt wird nicht aufgehört. Egal wie spät, jetzt wird weiter geschraubt! Der Motor muss jetzt geöffnet werden. Nur noch 10 Schrauben und Muttern trennen mich von der Wahrheit. Eine Schraube nach der anderen verlässt ihren alten Platz. Schrauben und Muttern alle original, gut. Jeweils eine 3 mm Unterlegscheibe am richtigen Platz.

Die letzte Schraube: In meiner Werkstatt liegt der Motor jetzt auf der Endseite auf seiner Vorrichtung. Die Exzenterwelle hat nach unten genug Platz. Mit zwei Schraubendrehern leichte Bewegung ins Seitenteil Abtriebseite bringen. Die Spannung steigt. Mit den Fingern das Spiel langsam vergrößern. Vorsicht man klemmt sich hier leicht die Fingerkuppen.

Es ist soweit, der Deckel ist lose.

Abnehmen und langsam umdrehen damit die anhaftenden Dichtelemente nicht wegfallen.Rechts von mir steht jetzt immer ein passendes Kistchen mit einem weißen Zeichenblatt drin. Auf diesem zeichne ich die Position des Läufers auf und sortiere den Dichtleistensatz entsprechend ein, so dass später alles wieder an seinen alten Platz kommt. Teile der Abtriebseite nach außen, Endseite nach innen. Dichtleisten und -ecken zusammengehörend in die jeweilige Ecke.

Jetzt kann man sich alles anschauen. Der Moment der Wahrheit ist da. Was hat man in diesem Momenten schon alles erlebt. Hier können Wankelherzen in 294 Teile zerbrechen. Ich hatte Glück, ich wurde positiv überrascht.

Abtriebseite:
Nahezu Neuzustand, nicht nachgeschliffen, keinerlei Riefen oder Beschädigungen. Reinigen, neu lagern und ein Wellendichring aus Viton machen daraus wieder ein Neuteil. Die Nase im (manchmal) zweigeteiltem Strömungskanal schleife ich schon lange nicht mehr weg. Hat eigentlich nie merklich etwas gebracht, und außerdem wird man sich da wohl was bei gedacht haben. Sowieso können Verwirbelungen des Gasgemischs im Verbrennungstrakt eigentlich nicht schaden.

Läufer:
Die einzelne Schweißnaht fällt mir sofort ins Auge. War eigentlich auch nicht anders zu erwarten bei Seriennummer 319. Aber was ist das? Dreifach verstifftet und anschließend mit Schweißpunkt versiegelt in der Brennraummulde. Ich dachte immer das wären nachgerüstete Läufer. Ein Blick in die Papiere. Frühe Fertigung (Nr. 319) aber Erstzulassung erst 1976. Wo stand die Maschine so lange herum? Eventuell doch mal nachgerüstet? Ansonsten war der Läufer in einem astreinem Zustand. Nirgends auch nur die kleinste Macke. Einzig die Lauffläche des Nadellagers weist Abnutzungsspuren auf.

Wie entstehen diese Spuren? Nadellager zu viel Spiel? Da das meiner Meinung nach alles noch im Rahmen lag, habe ich es so gelassen. Das war aber auch das Einzige was - wenn überhaupt - am Motor negativ auffiel. Alles war im Top-Zustand. Lupenreine neuwertige Trochoide, konisch geschliffen. Ohne den geringsten Makel. Damit hatte sich der Kauf gelohnt.

Jetzt noch die Endseite und Welle prüfen. Die Laufflächen der Exzenterwelle schaue ich mir immer genau mit der Lupe an. Hier keinerlei Pitting, nicht mal Blaufärbung. Das Seitenteil Endseite auf Riefen untersuchen, Ritzel 30 Zähne kontrollieren. Warm machen, Lager wechseln, neuen Wellendichtring rein, fertig. Bei diesen Seitenteilen den Ansaugkanal (von vorne gesehen auf 11 Uhr stellen) sehr genau auf Haarrisse untersuchen. Oft reißt hier das Seitenteil. Wenn sich der Riss nicht bis in die Lauffläche hinein zieht, kann man so etwas schweißen. Ich habe das schon zweimal gemacht, die Mopeds laufen gut.

Übrigens bei der Gelegenheit den Sitz der Wellendichtringe immer gut reinigen und Dichtringe mit Loctite sichern. Mir ist mal passiert, dass ich gestartet habe, losgefahren bin und nach einigen hundert Metern ein leichtes dumpfes "Plopp" bemerkte. An der nächsten Kreuzung ging der Motor aus. Beim Antreten lief er eine Runde und ging dann sofort wieder aus. Das wiederholte sich so noch ein paar Mal, dann lief gar nichts mehr. Nach Ausbau des Motors (ich hatte schon schlimmste Befürchtungen) stellte ich fest, dass sich der Wellendichtring des Seitenteils Abtriebseite gelöst hatte und nach innen in den Lagersitz gewandert war. Das Lager war allerdings auch nach innen gewandert. Kleine Ursache große Wirkung. Falschluft, der Motor läuft nicht mehr. Mit solchen Motorschäden kann ich allerdings gut leben: Nur Arbeit!

Zum Schluss der Dichtleistensatz:
Er ließ sich sauber heraus nehmen und reinigen. Die Messwerte sprachen für sich: Leisten 7,45 / Bolzen 5,6 / Streifen 2,34-2,36 / Federn alle Top.
Das kann man als neuwertig bezeichnen. Mit diesem Motor hatte ich richtig Glück. Er wurde vielleicht mit dem besseren Läufer nachgerüstet und überholt oder hatte mit 6000 km noch nichts auszuhalten.

Der Motor wird gereinigt, neu gelagert und bekommt eine neue Unterdruckdose. Zusammen mit dem neu gemachtem Getriebe habe ich jetzt eine komplette Antriebseinheit, die sich wieder in einem neuwertigem Zustand befindet. Bevor der Motor wieder mit dem Fahrwerk verbunden wird, habe ich damit noch etwas ganz Besonderes vor. Davon berichte ich dann beim nächsten Mal.

© 2015 Gerd Hilling - Hercules Wankel IG

Letzte Aktualisierung am 13.04.2015  

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