Dichtleistenloser Wankelmotor
Wie wirken sich Leckgase aus?
von Reiner Nikulski

Die einfachste Möglichkeit, den Problemen und ständigen Diskussionen über Dichtleisten aus dem Weg zu gehen, wäre diese ganz wegzulassen. Ist das jetzt eine surreale Phantasie? Über einen derartigen und bisher wohl weitgehend unbekannten Ansatz aus der Anfangszeit berichtete H. D. Paschke. Trotz der Umstellung auf die Kreiskolbenbauart projektierte man extrem hohe Drehzahlen bis zu 20.000 1/min. Sehr schnell stellte man fest, dass die Reibleistung - vor allem durch die Dichtleisten bedingt - stark mit der Drehzahl steigt und schon bei mittleren Drehzahlen größer wird, als die Verluste durch Leckgase. Bei extremen Drehzahlen könnte man dann doch eventuell ohne oder mit stark vereinfachten Dichtgrenzen fahren. Auf den ersten Blick klingt das vielversprechend. Man erhält einen verschleißfreien, ungeschmierten Läufer und braucht keinerlei Laufbahnbeschichtung oder exotische Dichtleistenwerkstoffe mehr.

Tatsächlich ist einer der ersten Kreiskolbenmotoren überhaupt, der KKM 250, versuchsweise auf dem Prüfstand ohne Dichtleisten gefahren worden. Ab 4000 Touren sei ein holperiger Eigenlauf möglich gewesen. Ab 10.000 zeigte sich kein Leistungsunterschied gegenüber einem mit Dichtleisten bestückten Motor mehr. Bei noch extremeren Drehzahlen gab es deutliche Leistungsvorteile. Wir Wankler mit gemischgekühltem Kolben kennen diese Problematik nur zu gut, allerdings eher bei extrem niedrigen Drehzahlen. Mit durch Ölkohleansatz schwergängigen Dichtleisten springt der Motor schlecht an. Teilweise kann man die mit Anlasserdrehzahl stattfindenden Zündungen spüren (und riechen), obwohl es nicht zum eigenen Durchlaufen reicht. Einmal angesprungen ist dann aber im Fahrbetrieb kein Unterschied mehr spürbar. Bei stärkerem Leistenstecken spürt man dann deutlich den schlechter werdenden Durchzug von unten heraus.

Leistungsdiagramm KC27

Das ist ein Beispiel eines Sachs KC 27 mit definiertem Spalt an den Dichtleisten.

Die Leistung differiert ab mittleren Drehzahlen nur gering.

Dies wird in den Fahrleistungen kaum spürbar sein. Den dramatischen Einbruch des Drehmoments bei Anfahrdrehzahlen merkt man aber sehr wohl.

Wenn die Maschine dann nur noch durch Anschieben anspringt, muss mal an eine Entkohlung gedacht werden. Aber auch mit total eingelaufenen Seitenteilen und entsprechend deutlichen Leckagen kann man sich mit hohen Drehzahlen noch nach Hause retten. Allerdings hat sich wohl noch keiner von uns getraut auszuprobieren, wie sich das Ganze dann bei über 10.000 Touren verhält. Oder doch?

Defektes Seitenteil

Links: Seitenteil aus der blauen Rennmaschine.

Durch Überhitzung und Schmierfilmabriss kam es zum Fressen. Beim Reparaturschleifen mussten 0,3 mm abgetragen werden.

Gerade im Rennbetrieb mit hohen Drehzahlen spürt der Fahrer die Auswirkung von Leckgasen erst sehr spät.

Sehr viel früher sieht man solche Fresser oder Klemmer übrigens an der Motortemperatur - wenn man denn eine Anzeige hat. Bei einem Schmierfilmabriss schnellt die Temperatur innerhalb kürzester Zeit deutlich über das sonst übliche Maß und fällt auch bei Bummelfahrt nicht mehr ab! Schon in mehreren (dem Verfasser bekannten) Fällen hat der Fahrer der Temperaturanzeige misstraut, anstatt die Warnzeichen Ernst zu nehmen und Schaden zu verhindern. Auch dies zeigt ein weiteres Mal deutlich, dass diese Leckagen erst sehr spät einen nennenswerten Leistungsverlust erzeugen.

Gegen Ende der Wankelentwicklung in Neckarsulm wurde dann das Reibverhalten am KKM 871 nochmals intensiv wissenschaftlich untersucht. Die ebenfalls anwesenden Entwickler der ersten und letzten Stunde, Armin Bauder und Theo Seufer hätten diese Verhältnisse also genauer quantifizieren können. Dazu blieb bei der Zeitzeugenbefragung aber leider keine Zeit. Praktikabel für einen Fahrzeugbetrieb wäre ein solcher dichtungsloser Wankelmotor aber wohl nicht gewesen. Er wäre wohl eher vergleichbar mit einer Turbine, die auch nur bei hohen Konstantdrehzahlen vernünftig und wirtschaftlich arbeitet. Oder vielleicht doch? In hoch aktuellen Range-Extender Fahrzeugen läuft der Stromerzeuger und dessen Antrieb nur mit konstanter Drehzahl ...

Reiner Nikulski

© 2012 (Bilder und Text) Reiner Nikulski - Hercules Wankel IG

Letzte Aktualisierung am 01.01.2013  

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