Blaue
Flecken für Blue Rotary
von
Ralph Schelle und Mike Menyhart
Die Suche nach für die Rennwankel geeigneten Veranstaltungen ist nicht so einfach. Zwar gibt es eine größere Anzahl von Schauläufen oder Gleichmäßigkeitsfahrten, an denen auch wir teilnehmen können, aber die Anzahl von richtigen Rennen, in welchen das Motorrad auch noch fair einklassifiziert wird und nicht gegen 100PSige Konkurrenz ankämpfen muss, ist mager. Einer der wenigen für uns passenden Veranstaltungen war das im April 2011 angesetzte Vier-Stunden-Rennen in Oschersleben. Der rührige Veranstalter Art-Motor hatte hier u. a. eine für uns ideale Klasse für 1970er-Jahre-Motorräder bis 350 cm³ aus der Taufe gehoben.
In Rennteam 2011 sind
- analog zum letzten Langstreckenrennen in Spanien - sowie die Fahrer
|
Und schon sind wir mitten im Renngeschehen. Das Team ist guter Stimmung; allerdings müssen wir hinsichtlich unserer Konkurrenz schlucken. Das Problem ist nicht, dass wir übermächtige Mitstreiter in unserer Klasse haben; das Problem ist vielmehr, dass sich außer uns in dieser Klasse gar keine anderen Mitstreiter angemeldet haben - was zwar die Aussicht auf einen Pokal durchaus erhöht, aber, gelinde ausgedrückt, den sportiven Aspekt doch etwas in den Hintergrund drängt. Naja, angemeldet ist angemeldet. Machen wir das Beste daraus.
Am Tag vor dem Rennen gibt's freies Training und Pflichttraining. Oschersleben ist gut zu fahren; nur die zwei langen Geraden sind zu schnell für die Rennwankel. Was auffällt, ist die ungewöhnlich hohe Anzahl von liegenden Motorrädern - und der vielfache Einsatz des Medical Cars. Am zweiten Tag geht es vor dem großen Rennen noch zweimal zum Warm-Up raus auf die Strecke. Wieder gibt es einige Abflüge, und auch Mike pflügt einmal durchs Kiesbett, kann aber die Maschine halten. |
Rennstart
14:30 Uhr:
Startaufstellung in alter Le-Mans-Formation. Als der Flaggenstoff gen Straße
geschwenkt wird, spurte ich zur Wankel, die von Mike mit laufendem Motor gehalten
wird. Für dieses Rennen haben wir die Maschine kurz übersetzt. Mit
Erfolg: Sprintstark ziehe ich an etlichen Konkurrenten vorbei. Ein Vorgang,
den ich mir merken sollte, denn für die nächsten vier Stunden kann
ich ihn nicht wiederholen. Bärenstarke Motorräder der großen
Klassen ziehen in Valentino Rossi ähnlichen Schräglagen an mir vorbei.
Auf Grund dieser Lage und mangelnder Mitstreiter in unserer 350 cm³-Klasse
lautet denn auch die empfohlene Vorgehensweise für das blue rotary team:
4 Rennstunden unbeschadet hinter sich zu bringen, ohne sich und den Motor aufzureiben.
Und ohne gegen die Regularien bezüglich der vorgeschriebenen Boxenstopps
(7 Mal), Betankung und Mindestfahrzeiten der Fahrer zu verstoßen. Unter
normalen Umständen sollte das zu schaffen sein...
Die ersten nicht normalen Umstände lassen nicht lange auf sich warten. Bereits kurz nach Rennbeginn hat es schon wieder ein paar Abflüge gegeben. Eines der abgelegten Motorräder muss aus ungünstiger Position geborgen werden, weshalb das Safety-Car heraus kommt. Da die Boxengasse noch offen ist, entschließt sich die Boxencrew zum ersten Boxenstopp, bevor alle anderen Teams auf diese Idee kommen und es in der Boxengasse Gedrängel gibt. Ich also in die Box, wo ich die Wankel an Mike übergebe, der sich in der Meute hinter dem Safety-Car einreiht. Dann geht Letzteres wieder rein, und das Rennen ist wieder freigegeben.
Zeitnehmerin Katrin misst für Mike 2:11er-Zeiten; damit ist Mike noch um 2 Sekunden schneller als meine bislang schnellste Runde. Ob er wohl jede Runde ähnlich schnell ist? Das werden die folgenden Messungen zeigen. Als die Stoppuhr abermals auf 2:11 geht, aber von Mike nichts zu sehen ist, bin ich erst mal beruhigt. Er ist also nicht in jeder Runde so schnell. Als die Stoppuhr 2:25 zeigt, ohne dass sich ein Wankelröhren ankündigt, denke ich, der Mike ist aber ganz schön langsam jetzt. Als die Stoppuhr dann 2:35 anzeigt, ist jedem klar:
Das kann nicht sein. Es muss etwas passiert sein - und es ist nicht schön!
Banges Warten
zeichnet die Gesichter der Boxencrew. Und warten. Und warten. Und warten. Nach
langem Warten tönt auf der Rückseite der Box eine Autohupe: MÖÖÖK!
Es ist der Lumpensammler der Rennstrecke. Unsere Wankel ist auf dem Hänger
- mit Mike oben drauf, und er scheint überwiegend vollständig zu sein.
Die Maschine ist es nicht mehr. Verkleidungsscheibe zersplittert, linke Alu-Fußraste um ein geschätztes Drittel verkürzt, Verkleidungshalterung und Kupplungshebel sind stark verbogen und auch sonst ist einiges verschrammelt: Auch Mikes fast neuer Lederkombi, ursprünglich Glattleder, ist partiell zu Wildleder mutiert. Frage an Mike, ob bei ihm alles heil ist. Er vermutet: Ja, wohl alles in Ordnung. Was ist denn passiert? Mike erzählt, dass der Motor kurz zickte, wie es ein Motor mitunter bei Benzinmangel macht, und er in der Folge mit der linken Hand nach dem Benzinhahn griff. Das war just der Moment, in dem der Motor festging und in dem keine Hand zur Stelle war, um die rettende Kupplung zu ziehen. Ein Vollblockierer in Schräglage!
Na, denn abladen. Und rein in die Box. Also fassen wir zusammen:
+ Motor Totalschaden, + etliche Teile lädiert, = das war´s dann! |
Denn selbst,
wenn wir alles reparieren könnten, würden wir Fahrer nicht mehr die
von der Rennleitung vorgeschriebenen Mindestfahrzeiten erreichen. Das ist der
Grund, warum das Blue Rotary Team an dieser Stelle aufgeben muss. Es ist ein
Jammer!
Kurzbesprechung im Team: Also, aufgeben, oder?
NEIN! AUFGEGEBEN WIRD NICHT!
Augenblicklich wird es hektisch. In Sekundenbruchteilen werden um die Rennwankel herum geöffnete Werkzeugkoffer platziert. Jedem ist klar: Die Zeit wird wohl nicht reichen. Denn unser Ersatzmotor hat weder einen eigenen Zwischenflansch noch eine Zündungsplatte und auch kein Lüftergehäuse; dies alles wird zeitraubend ummontiert werden müssen!
Jetzt fliegt das Werkzeug. In rhythmischem Staccato drehen druckluftbetriebene Inbusschlüssel in silbernen Schraubenköpfen. Im Sekundenabstand fallen rechts und links die Getriebedeckel, und rennheißes Getriebeöl spritzt in eine bereitgestellte Ölwanne. Arbeitsschritte werden mit knappen Statusmeldungen quittiert. Lüftergehäuse und Vergaserstutzen werden demontiert, und von Seitenschneidern aufgebissene Kabelbinder fliegen in hohem Bogen in den Staub des Boxenbodens. Sechs Hände lösen acht Motorhalteschrauben, während Katrin in benachbarte Boxen hastet, um einen großen 32er-Schlüssel zu erbetteln, den wir nicht dabei haben und der doch für das Lösen des auf der Welle sitzenden Primärzahnrades nötig ist. |
Dann hallen Flüche durch die Box, weil der Lichtmaschinenträger des Ersatzmotors kürzere Schrauben erfordert - die wir nicht haben. Und noch mehr Flüche, weil der Motorblockierer die kleine, vordere Scheibenfeder auf der Exzenterwelle glatt abgeschert hat - und wir auch hier keinen Ersatz dabei haben! Was tun? Ach, das geht doch auch ohne Scheibenfeder... Dann die dritte Fluchserie. Im Eifer des Schraubergefechts habe ich Schussel die Passhülsen des Lüftergehäuses verloren. Sie werden zur genauen Positionierung benötigt, damit das eng anliegende Gehäuse nicht am Lüfter streift. Was tun? Einfach alles ohne diese Passhülsen montieren und dann kräftig beten - welcher Gott auch immer sich hierfür zuständig erklärt ...
Als schlussendlich
der neue Motor ans Getriebe geflanscht wird, drehe ich an der Getriebeeingangswelle,
um das heikle Spiel der Primärverzahnung zu erfühlen, aber was ich
da fühle, darüber möchte ich hier lieber keine Auskunft erteilen.
Egal, Vergaserstutzen und beide Getriebedeckel drauf, Schalthebel dran, Öl
rein, Zündungskabel eingesteckt, Verkleidungsscheibe gewechselt, krummen
Kupplungshebel (Au weia! Der war doch nur ausgeliehen!) halbwegs gerade gebogen
und Fußraste in brauchbare Form gebracht - YES! 49 MINUTEN!
Jetzt schnell rüber zur technischen Abnahme (weil Pflicht nach Sturzreparaturen!), doch da ist niemand, Mist, dann kommt doch jemand, sie prüfen, geben ihr OK, wir zurück zur Box, 59 MINUTEN vorbei, Helm auf, Handschuhe an, aufsitzen, Mike schiebt an. Nichts tut sich, dann ein Spotzer, dann wieder aus. Nochmal schieben, wieder ein Spotzer, wieder aus, wieder schieben und VROOOOOM - sie läuft! Ich röhre in die Boxengasse, raus auf die Strecke.
WIR SIND WIEDER IM RENNEN!
Ok, den linken Lenker hätten wir vielleicht auch noch in Position bringen können, auch passt die Schalthebelposition nicht wirklich. Egal, die Rennwankel ist im Großen und Ganzen fahrbar und der Ersatzmotor ist sogar stärker als der vorheige. Ich ziehe meine Runden im Safety-Modus. Keine Drehzahlen über 7000, und am Ende der zwei langen Geraden kuppele ich aus, um dem neuen Motor Kühlung zu verschaffen.
Dieser Fahrerwechsel war jetzt der zweite (von 7 vorgeschriebenen) Stopps. Nach nur 5 Runden ergeht das Signal zum Boxenstopp, wo ich an Mike übergebe. Wieder in der Box, will ich aber doch mal wissen, ob wir überhaupt noch alle Rennbedingungen erfüllen können. Und muss feststellen: Hirnwindungen sämtlicher Teammitglieder sind komplett blockiert! Nach Mikes Unfall und der anschließenden Akkord-Reparatur ist das gesamte Blue Rotary Racing Team immer noch dermaßen durch den Wind, dass keiner von uns, ich eingeschlossen, zum Lösen strunzeinfachster Rechenaufgaben imstande ist. |
Es braucht weitere 15 Minuten, bis sich die ersten Hirnregionen zurückmelden und Denkleistungen in vermindertem Umfang zur Verfügung stellen. Die Rechnung ergibt: Das wird ganz knapp. Es geht um ein paar Minuten. Ein weiterer ungeplanter Boxenstopp und wir sind disqualifiziert, weil wir die Mindestfahrzeit nicht mehr erreichen.
Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, denn schon wieder ist was Größeres auf der Strecke passiert: Safety-Car! Dann, als Zeit ist für den nächsten Fahrerwechsel, sieht Mike unser großes Boxenstopp-Schild nicht, fährt vorbei, dann hält Katrin wieder das Schild heraus, und Mike, inzwischen mit sehr schnellen 2:08er-Zeiten unterwegs, sieht es wieder nicht, verdammt! Endlich bemerkt er es und kommt ganze 5 Runden später als geplant herein. Wieder Rechenarbeit für die Zeitnehmerin - und das in dieser brenzligen Situation, wo uns ein paar fehlende Fahrminuten eines einzelnen Fahrers aus dem Rennen werfen könnten! Beim Stopp wird getankt. Da fällt Katrin, die den Luftdruck kontrolliert, auf: Das vordere Schutzblech ist durchgerissen und hängt nur noch einseitig an 2 statt an 4 Schrauben. Ein Sturzschaden, der uns vorhin entgangen war. Das Schutzblech kann so nicht bleiben; es muss weg. Erneut sausen schnelldrehende Inbusschlüssel in sechseckige Köpfe, Schutzblech weg, gefahren wird ohne, ich auf die Maschine, der Ständer wird abgezogen, anschieben, vroooom und wieder raus auf die Strecke.
Und wieder liegen links und rechts der Strecke Mopeds herum. Was, zum Teufel,
ist heute bloß los? Es ist wirklich verrückt. Inzwischen ist auch
der an sich gut zu fahrende Kurs nur noch bedingt befahrbar. Mehrere Kurven
sind partiell ölgetränkt; dazu weht sandiges Bindemittel über
den Asphalt und senkt das Vertrauen in die Haftfähigkeit rapide.
25 Minuten
vor Rennende dann der letzte Fahrerwechsel. Mike ist es, der die Rennwankel
über die Ziellinie bringen soll. Doch -Teufel aber auch - bereits nach
wenigen Minuten geht schon wieder die gelbe Flagge, dann fährt - zum x-ten
Mal!- das Medical Car wieder raus. Am Eingang der Start-Ziel-Geraden liegt der
bislang Führende auf der Fahrbahn. Die Rennleitung lässt rot flaggen
- was bedeutet: Rennabbruch! Der Veranstalter beschließt, keinen Neustart
zu erteilen und flaggt das Rennen in der Boxengasse vor dem regulären Ende
aus.
Was für uns bedeutet: Damit haben wir die Mindestfahrzeit nicht zusammenbekommen!
Oder doch?
Doch! Die Rennleitung beschließt, die Mindestfahrzeit anteilig auf die verkürzte Rennzeit herunter zu rechnen. Damit bleiben wir in der Wertung - und mangels Konkurrenz in unserer Klasse auf dem ersten Platz.
Was für ein Wochenende! Was für eine Leistung der Boxencrew! Und natürlich: Was für ein schön glänzender Pokal!
Ein schaler Geschmack bleibt.
Zum einen ist es schlichtweg peinlich, in einer Klasse ohne jeden Konkurrenten
zu fahren.
Zum anderen wurde bei diesem Rennen mit derart vielen verunfallten Motorradfahrer/-innen
Jedem vor Augen geführt, wie verflucht eng Pokal und Spital aneinander
liegen - für meinen Geschmack fast zu nah!
Ralph Schelle
© 2012 Ralph Schelle/Mike Menyhart (Fotos: diverse) - Hercules Wankel IG - letzte Aktualisierung am 25.01.2012