![]() |
294 - die magische Zahl im Wankelmotorenbau! Ein Bericht von Reiner
Nikulski, 294, eine einfache dreistellige Zahl wie 899 weitere auch! Und doch zieht sich diese Zahl seit nunmehr 35 Jahren wie ein roter Faden durch die Geschichte kleiner Wankelmotoren. Es ist wohl unwahrscheinlich, dass der Konstrukteur bei Sachs in Schweinfurt irgendwann Mitte der 1960er Jahre bei der Festlegung der geometrischen Eckdaten des größten Sachsmotors ahnte, wie weitreichend seine Entscheidung sein würde. Man hatte gleich nach Bekanntwerden des Wankelprinzips 1960 eine Lizenz genommen und unter Leitung von Dipl.-Ing. Helmut Keller unverzüglich mit Grundsatzuntersuchungen begonnen. Von Anfang an planten sie den Motor vielseitig zu vermarkten, also nicht nur in Landfahrzeugen sondern auch in Booten, als Industriemotoren und in Kleinflugzeugen. Für diese Markt-segmente musste der Motor aber unter allen Umständen so kostengünstig wie möglich herstellbar sein. So entstanden die bekannten und für alle Sachs- Wankelmotoren typischen Merkmale Luftkühlung durch Axialgebläse, Kolbenkühlung durch das eintretende Frischgas und Frischölschmierung, die die Aggregate so unwahrscheinlich einfach und kompakt werden ließen. Zur Herstellung der Trochoidenform waren spezielle Kopierschleifmaschinen und aufwendige Schablonen notwendig. Zur Erzielung niedriger Kosten mussten diese also über einen langen Zeitraum abgeschrieben werden. Es war also klar, dass eine einmal festgelegte Konstruktion lange Zeit beibehalten werden musste. Man entschied sich für einen kurvenerzeugenden Radius von 71 mm, einen Äquidistantenabstand von 0,5 mm, eine Exzentrizität von 11,6 mm und eine Kolbenbreite von 68,2 mm, was dann eben jene 294 cm³ Kammervolumen ergibt. Anders als beim Hubkolbenmotor, bei dem Konstruktionsmerkmale innerhalb gewisser Grenzen durchaus änderbar sind, waren damit beim Wankelmotor also grundlegende Eigenschaften wie umbautes Volumen, thermodynamische Eigenschaften und Drehfähigkeit fest vorgegeben. |
![]() |
Die Sachs Wankel Mannschaft brachte dann tatsächlich diese komplett neue Motorart innerhalb von wenigen Jahren zur Serienreife. Der 294er wurde als stationärer Industriemotor KM 914 mit 18 PS zum ersten Mal 1967 in der Fachpresse vorgestellt und fand Verwendung als Antrieb für Feuerwehrpumpen, Stromaggregate, Erdlochbohrer, u.v.m.
|
![]() |
Ende der 1960er Jahre machte sich der Zweiradhersteller Hercules - eine Tochterfirma von Sachs - Gedanken über ein Zukunftsmotorrad mit Wankelmotor, der "W 2000". Der 294er KM 914 wurde mit einem BMW Getriebe und Kardanantrieb versehen, und erste Erprobungen fanden statt. Nach einer Vorserie von 50 Stück wurden ca. 1.800 Maschinen des Typs W 2000 (auch "Staubsauger" genannt) gebaut. Der 294er erfuhr hier seine erste grundlegende Änderung und wurde zum KC 24 bzw. 27. Nur noch ein kleiner Teil des Frischgasstromes floss kühlend quer durch den Kolben, während der Hauptanteil direkt über einen vergrößerten Seiteneinlass einströmte. Damit erreichte man die 27 PS Klassengrenze. Unter unermüdlichem Einsatz von Konstrukteur Wolfgang Baier und Versuchsmann Dieter Klaucke entstanden sehr viele verschiedene Varianten z.B. mit Wasserkühlung oder mit horizontal liegender Trochoide für Sport- und Studienzwecke. In einem Langstrecken Rennmotorrad kam man schon auf 50 PS. Die Arbeiten am KC 28 für den W 2000 Nachfolger waren schon weit fortgeschritten als das Unternehmen 1978 entschied, den Bau von Wankelmotoren komplett einzustellen. Bei diesem Nachfolger war ein extra Sauggebläse für die Kühlung des Kolbens vorgesehen, so dass der Einlasstrakt nun günstiger gestaltet werden konnte und so die Grundlage für höhere Leistungen geschaffen war. Links: Josef Wenzler, ein in der Motorrad-Wankel-Szene bekannter Edelschrauber hat einen solchen Prototyp-Motor und will ihn zum Laufen bringen. Wie weit sind die Arbeiten? Können wir bald eine Leistungsmessung machen um zu sehen, was hätte sein können? |
![]() |
Etwa zur gleichen Zeit wie bei Hercules glaubte man auch bei der englischen Firma BSA, mit dem Wankelmotor eine gute Basis für die Zukunft schaffen zu können, war doch das Ende des klassischen englischen Motorradbaus schon allzu deutlich in Sicht. Da man für den Einsatz im Motorrad wie Sachs eine sehr einfache Konstruktion anstrebte, lehnte man sich an deren Erfahrungen an. Auch hier wurden mit dem 294 cm³ KM 914 in einer BSA Goldstar erste Erprobungen vorgenommen. Später verwendete man einfach Hercules W 2000 aus den ersten Serien (mit BSA Emblem) für weitere Versuche. Unter Leitung von David Garside, der vorher bei Rolls-Royce am Wankel-Diesel gearbeitet hatte, begannen ausführliche Grundsatzuntersuchungen. Verschiedene Muldenformen des Rotors wurden probiert und eine komplett neue Gasführung ausgearbeitet. Reine Luft strömte nun über stark vergrößerte Querschnitte durch den Kolben, sammelte sich in einer großvolumigen Kammer und wurde erst dann durch einen Vergaser und einen Umfangseinlass in den Motor geführt. Damit wurden höhere Drehzahlen möglich, und die Leistung des 294ers konnte auf 39 PS gesteigert werden. Da außerdem die Zukunft des Motorradmarktes mehr in den größer motorisierten Klassen gesehen wurde, verdoppelte man den 294er von Anfang an zu einem 588er Zweischeiben-Motor. Ein Versuchsträger mit der neuen Konzeption konnte schon 1974 von der Presse gefahren werden. |
![]() |
Durch das Sterben der großen englischen Marken in Verbindung mit vielen Firmenumgruppierungen wurde es lange Zeit still um die englischen Wankelpläne. Irgendwann übernahm man nach dem Ende der Produktion bei Sachs einen Großteil von deren Fertigungsmaschinen, darunter auch jene Trochoidenschleifmaschine und die Schablonen, durch die die geometrischen Grundmaße des 294ers festgelegt sind. Erst ca. 1984, als die Hercules W 2000 im Alltagsbild schon fast vergessen war und sich bereits die IG W 2000 zwecks Versorgung von Ersatzteilen formierte, wurden unter dem Namen Norton Interpol ca. 350 Maschinen an die Polizei und die Behörden ausgeliefert. Auch eine Produktion für zivile Zwecke wurde aufgenommen. Nach einer kleinen Sonderserie "Classic" stellte man ab 1989 auf Wasserkühlung um, womit nun bis zu 95PS, also 47,5 PS pro 294 cm³ Einheit erreicht wurden. Links: Wassergekühlt sind die 294 cm³ Einheiten noch viel kompakter und kaum noch zwischen Getriebe und Nebenaggregaten zu erkennen, hier links in einer Norton Commander. |
|
Wie bringt man Auspufflänge unter? "Schweineschwanz"-Krümmer an dieser Norton Rennmaschine. Der
dicke Schlauch vor dem Enddämpfer |
Irgendwann während der Produktion wurden auch zum ersten und einzigen Male die geometrischen Maße des 294ers geändert. Aus erzeugendem Radius 71 mm wurden 69 mm, aus Äquidistantenabstand 0,5 wurde 2,5. Die Abmessungen der Trochoide ändern sich damit kaum nachmessbar, und das Kammervolumen blieb unverändert bei 294 cm³. Norton Kolben mit neuer Geometrie laufen daher auch in Sachs Laufbahnen mit alten Maßen. In den folgenden Jahren entstanden in kleinen Stückzahlen noch die Commander - eine Tourenmaschine - sowie die Sportmotorräder F1 und TT, bevor die Firma Mitte der 90er Jahre mal wieder in finanzielle Schwierigkeiten geriet und die Produktion einstellte. Besonders bemerkenswert ist die Norton Renngeschichte. Brian Crighton war eigentlich für die Entwicklung der Flugmotoren zuständig. Als Rennfan machte er sich Gedanken, ob die Interpol, also die 250 kg schwere Polizeimaschine nicht eine gute Basis für Rennsporteinsätze wäre - sie war es! Durch sehr einfaches Tuning erreichte er auf Anhieb 135 PS, also 67,5 PS pro 294 cm³ Einheit. Der Motor saugte nun das Gemisch direkt an, die Kolbenkühlung erfolgte durch einen Frischluftstrom, der durch die Saugwirkung der schnellströmenden Auspuffgase entsteht. Eine höchsteinfache Vorrichtung, die aus einem Schlauch zwischen Motorgehäuse und Auspuff besteht (!) und die charakteristisch für alle Norton Rennmotoren wurde. Die ersten Maschinen entstanden neben Crighton´s eigentlicher Arbeit. Die einzige Unterstützung des Werks bestand aus der Versorgung mit Teilen - und zwar ausschließlich mit Ausschuss- oder zurückgekommenen Garantieteilen! Auch wenn die Bedingungen später besser wurden, so ist es doch sensationell, dass diese einfachen Maschinen sieben Jahre lang die englischen Rennserien auch gegen werksunterstützte japanische Marken beherrscht haben. Als Höhepunkt wurde 1992 die Senior TT auf der Isle of Man gewonnen. Dort entstand auch das Gerücht (?), dass die Gewinnermaschine (abgesehen vom sowieso unbezahlbaren enthusiastischem Arbeitseinsatz) weniger gekostet habe als die Vergaserbatterie des unterlegenen japanischen Vierzylinders. |
|
Mid-West 2x294 cm³ an einem Kleinflugzeug. Der Freiraum an den Aufhänge-streben zeigt deutlich, wieviel Raum gegenüber einem konventionellen Triebwerk eingespart wird. |
Schon
Norton hatte neben den Motorrädern auch Flugmotoren gebaut. Nach
dem Produktionsstopp verlagerten sich diese Aktivitäten auf zwei
andere Firmen. Bei der Firma UAV hat David Garside den 294er zu extremen Leistungen weiterentwickelt. Er wird dort für den militärischen Bereich als Antrieb für unbemannte Flugkörper (Drohnen oder Erkundungsflugkörper) eingesetzt und soll in kleinen Leistungsbereichen bei gleicher Kompaktheit die teuren Gasturbinen oder Düsentriebwerke ersetzen. Über diese Motoren ist wenig bekannt geworden, weil sie natürlich der militärischen Geheimhaltung unterliegen. Bei einem speziellen 5-Minuten-Motor (Drohnen für Zielübungen) munkelt aber von über 70 PS pro 294 cm³ Einheit, wobei bei solchen Motoren natürlich keinerlei Kompromisse bezüglich Abgas, Geräusch und Verbrauch gemacht werden müssen. Auf dem großen Wankel Symposium 1997 in Neckarsulm hatte ein solcher Motor bequem in der Aktentasche seines Entwicklers Platz! Sowohl die Mid-West als auch die UAV Motoren werden heute noch gebaut. |
![]() |
Lange
Karriere einer Fertigungsmaschine. Der größte Teil aller 294 cm³ Einheiten ist hier geschliffen worden! |
|
|
Die Firma PATS stellt APUs her. Das sind kleine Aggregate, die Großflugzeuge bei nicht laufenden Düsentriebwerken mit Energie versorgen. Auch hier versucht man teure Turbinen durch kostengünstigere und sparsamere Antriebe zu ersetzen, wobei Gewicht, Raumbedarf und Vibrationen nicht zunehmen dürfen. Außerdem müssen diese mit Jet-Fuel, also einem dieselähnlichem Treibstoff betrieben werden. PATS hat vor wenigen Jahren auf Basis der UAV Wankelmotoren mit geringem Aufwand einen Wankel-Diesel mit einer Vorkammer entwickelt. Als Selbstzünder leistet der 294er immerhin noch 18 PS. Ob dies zunächst
mal der Schlusspunkt in der Entwicklung dieser Wankelmotorengröße
ist, wird sich erst noch zeigen. Der "294er Pionier" Helmut
Keller hatte bei ersten Kontakten zu David Garside gesagt, dass die
Leistungsgrenze des 294 cm³ Motors wohl bei 20 PS liegen würde.
Reiner Nikulski |
Copyright 2000-2004 Reiner Nikulski, Originalbericht veröffentlicht in der Wankel-News Nr. 29, Jahr 2000