Projekt Bahnburner 1999:
(Hamburg-Wien-Hamburg mit der W 2000, April 1999)

Donnerstag, 30. April 1999, 23:59 Uhr, Bundesautobahnraststätte Hamburg-Stillhorn, Westseite. Das kleinformatige Kopfsteinpflaster ist noch das Gleiche wie Ende der 1960er Jahre, sonst hat sich aber einiges verändert. 4 "Wankel-Verrückte" sind bei den letzten Vorbereitungen zum Start für die Fernfahrt nach Wien und retour, an einem Tag und mit einem 25 Jahre alten Motorrad. Die freundliche Dame an der Kasse bestätigt mit Stempel und Unterschrift Datum und Uhrzeit.

Tachostand und Uhrzeit vor Fahrtbeginn
Zeit- und Tachovergleich vor Fahrtantritt

0:00 Uhr, der erste Fahrer und Organisator der Aktion, Hans-Heinrich Duensing legt den ersten Gang ein und braust mit Vollgas auf die Einfädelspur der A 1 Richtung Süden. Das gleichmäßige sonore Brummen des Sachs-Wankelmotors verstummt am Horizont, Ruhe kehrt wieder ein auf dem vom Vollmond ausgeleuchteten Rastplatz.

Blenden wir 11 Monate zurück auf das Jahrestreffen der Hercules Wankel IG im Juni 1998. Ernst Leverkus ("Klacks") war gerade verstorben, und wir hatten alle seinen letzten Artikel in der MARKT gelesen: "Auf der Autobahn nachts um halb eins". Natürlich handelte er von den Langstreckentests, die Ende der 1960er Jahre von DAS MOTORRAD durchgeführt wurden. "Das sollten wir auch mit der W 2000 machen" lautete der Vorschlag von Duensing, seit 1981 überzeugter Wankel-Fahrer mit einer Erfahrung im wahrsten Sinnes des Wortes von fast 200.000 km.

Ernst Leverkus hat sehr viel für die Entwicklung der W 2000 getan. Er hat mit seiner im Oktober 1974 gegründeten Motorradzeitschrift "PS" frischen Wind in den Blätterwald gebracht und sich immer wieder des Themas angenommen, sei es die Wankel-Hercules, die Suzuki RE 5 oder das Wankel-Big Bike Van Veen OCR 1000, immer gab es kritische aber auch begeisterte Kommentare. So hat man auch bei den Nürnberger Hercules-Werken und bei Fichtel & Sachs in Schweinfurt immer Wert auf ein offenes Wort von KLACKS gelegt, um die Entwicklung von Motor und Maschine voranzutreiben.

Außer der Referenz an Leverkus gab es eine zweiten gewichtigen Grund: die W 2000 feiert im Jahre 1999 den 25. Geburtstag. Schnell spricht sich die Idee im Kreise der Wankelmotorrad-Enthusiasten herum. Werner Krumland aus Hannover stellt spontan seine Maschine zur Verfügung: eine sehr gut erhaltene, gepflegte W 2000 aus der allerersten Serie. Es ist die 14. Maschine von insgesamt nur 1784 gebauten Exemplaren, laut Produktionsbuch gebaut am 28. August 1974. Erstbesitzer war über viele Jahre ein Sachs-Werksangehöriger. Das Fahrzeug hat erst 14.000 km auf dem Tacho. Erste Testfahrten werden unternommen. Der Motor wird vorsorglich zerlegt, alle Teile begutachtet, gereinigt und alles wieder mit neuen Dichtleistenfedern und Dichtungen versehen, zusammengebaut. Die Bowdenzüge werden penibel geprüft, ebenso die Elektrik. Die Verschleißteile wie Ritzel, Kette und beide Reifen werden vorsorglich gewechselt, als Letztes wird noch die Vergasermembrane im 32er BING Gleichdruckvergaser ausgetauscht. Reine Vorsichtsmaßnahme!

Für die Organisation der Fahrt wurden zwei Teams gebildet: ein Team "NORD" mit der Niedersachsen-Fraktion bestehend aus Hans-Heinrich Duensing und Werner Krumland als Fahrern sowie Carsten Zahl und Heiner Brinkmann als Beifahrer/Helfer. Das zweite Team "SÜD" besteht aus Reiner Nikulski und Andreas Gramlich als Fahrer und Georg Emonts und Heinz Ruppert als Begleitmannschaft.
Als oberste Vorgabe war unter uns vereinbart: keine Gefährdung des Fahrers oder anderer Verkehrsteilnehmer. Bei schlechtem Wetter oder Problemen mit der Maschine hätten wir die Fahrt sofort abgebrochen.

Dann begannen die Tests. Insgesamt wurden über 1.500 Test-km abgespult. Alle Beteiligten sind langjährige W 2000-Fahrer mit einer durch-schnittlichen Fahrleistung von über 90.000 km. Interessanterweise ergab es sich, dassalle Mitstreiter Anfang bis Mitte 40 sind und aus einem technisch geprägten Berufsumfeld kommen, vom Elektroniker bis hin zum Fahrzeugtechnik-Ingenieur.
Keiner von uns hatte auch nur den geringsten Zweifel an der Standfestigkeit des Sachs-Motors. Es wurde extra die 1. Serienversion gewählt, die noch mit Gemischschmierung arbeitet.
Die spätere, Oil Injection genannte Version mit separatem Öltank und Dosierpumpe war komfortabler zu betanken, aber nicht unbedingt zuverlässiger. Vergaß man Öl aufzufüllen, war der Motor in kurzer Zeit hinüber. Bei einem Durchschnittsverbrauch von 2 l Öl auf 1.000 km konnte das ungeahnt schnell passieren ...

Das Thema Öl war immer wieder ein heiß diskutierter Punkt. Vor 25 Jahren hat Sachs "Shell Rotella 30" empfohlen, das gibt es aber in dieser Formulierung schon seit Jahren in Deutschland nicht mehr zu kaufen. Die Entscheidung fiel auf das Mobil 10 W-40, ein vollsynthetisches Hochleistungsöl. Mit diesem Öl wurden in den letzten Jahren sehr gute Praxiserfahrungen gesammelt, es bildet sich fast keine Ölkohle im Motorinneren und auch die Ro 80 Fahrer greifen oftmals darauf zurück. Die Fa. Mobil Schmierstoff hat uns freundlicherweise die benötigte Menge kostenlos zur Verfügung gestellt. Um ganz sicher zu gehen, wurde das Verhältnis von Öl zu Benzin auf 1:20 festgelegt. Im Alltagsbetrieb läuft die Wankel auch mit 1:30, vorgeschrieben ab Werk war ein Wert von 1:25.

Bei guter Pflege sind Laufleistungen für den W 2000-Motor von 40.000 km problemlos zu erreichen. Ein Wert übrigens, der 1975 bei dem 50.000 km-Nürburgring-Test von "PS" bestätigt wurde und der absolut ok. ist im Vergleich zur Lebensdauer von japanischen 2- und 4-Takt-Motoren Mitte der 1970er Jahre.

Die Versuchsfahrten über die Kasseler Berge bis hinunter nach Schweinfurt ergaben eine sehr konstante Leistungsabgabe, die volle Nominalleistung von 27 PS konnte aber nicht ganz erreicht werden. Bei der Maximalgeschwindigkeit kamen Werte bis 135 km/h zustande, bei einem neuen Motor sind gute 140 km/h drin. Nun sind wir alle auch nicht mehr so schlank wie mit 19 Jahren, und der Vergaser wurde aus schmierungstechnischen Gründen sehr fett eingestellt.

Kehren wir zurück auf die nächtliche Autobahn. Die Streckenführung verlief getreu den historischen Vorbildern aus den Jahren 1967 bis 1970. Auf der A 1 ging es bis zum Horster Dreieck, von dort auf der A 7 weiter über Hannover bis an den Harz. Der 160 mm-BOSCH-Scheinwerfer, 1974 schon serienmäßig mit H4-Licht ausgerüstet, leuchtete gleichmäßig die norddeutsche Betonpiste aus. Die Außentemperatur betrug beim Start etwa 8 Grad C, trockene Fahrbahn bei Mondschein am östlichen Himmel.

Hans-Werner Krumland und Hans-Heinrich Duensing bei der Abfahrt an der Raststätte HH-Stillhorn
Hans-Werner Krumland und Hans Heinrich Duensing - Abfahrt BAB-Raststätte HH-Stillhorn

Der erste Tankstopp mit Fahrerwechsel im Team "NORD" wurde um 1:54 Uhr auf dem Rastplatz Seesen ausgeführt. Werner Krumland löste nach den ersten 219 km Hans-Heinrich Duensing ab. Getankt wurde aus 20 l-Bundeswehrkanistern, was auch vorher extra geübt wurde. Als Zeitvorgabe waren unter optimalen Bedingungen 59 Sekunden für 18 Liter ermittelt worden. Nachts um 2 Uhr ging es dann doch nicht ganz so schnell. Außerdem wurde noch die Kette nachgeschmiert. Weiter ging es Richtung Kassel. Hinter Fulda in der Rhön kam dann der 2. Wechsel. Nach 420 km übernahm Hans-Heinrich um kurz vor 4 Uhr wieder den Lenker. Die Maschine wurde im 6. Gang gefahren, bei mindestens 5.000 U/min. Der rote Bereich beginnt bei 6.500 U/min und wurde natürlich auch gelegentlich erreicht, wenn es volle Pulle im 5. Gang den Berg wieder rauf ging. Der jeweilige Fahrer duckte sich so gut als möglich hinter dem Tankrucksack, um möglichst wenig Angriffsfläche für den Fahrtwind zu bieten. Am Kreuz Biebelried hinter Würzburg wurde die A 3 erreicht in Fahrtrichtung Passau. Nun ging es weiter Richtung Nürnberg zum vereinbarten Wechselplatz bei Erlangen-Tennenlohe.

Hans-Heinrich Duensing bei der Nachtfahrt
Nachtfahrt auf der Autobahn

Um 5:24 Uhr, eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang, erreichte das Team "Nord" den vereinbarten Wechselplatz bei Erlangen-Tennenlohe.

Das Team "SÜD" war schon seit 5:10 Uhr am verabredeten Übergabe-Treffpunkt. Es war noch dunkel, Sonnenaufgang erst gegen 6 Uhr. Alles wartete - noch etwas verschlafen - mit gespannter Ruhe auf das "NORD"-Team. Die Übergabe war für 5:30 Uhr ausgerechnet. Um 5:24 Uhr dann war das allen vertraute "BRAB BRAB BRAB" des luftgekühlten Wankelmotors zu hören. Jetzt musste alles schnell gehen, plötzlich waren alle munter und hellwach. Das Motorrad einmal volltanken, Fahrplan-Checkliste übergeben, ein paar Fotos machen, nichts vergessen? Ab ging es wieder auf die Bahn. Die Nordlichter hatten nun bis zum frühen Nachmittag Pause.

Die Morgendämmerung mit der leicht rötlich gefärbten aufgehenden Sonne, der Dunst über den Felder links und rechts der Autobahn, ein stimmungsvolles Bild, aber leider keine Zeit. Wien rückte näher.

Mit Vollgas in den Morgen!
In der Morgendämmerung

Als 1. Fahrer kam Reiner Nikulski zum Einsatz. Hinter Deggendorf dann wieder ein Tankstopp, nun fuhr Andreas Gramlich die Maschine weiter. Die Grenze nach Österreich wurde um 7:30 Uhr passiert, hier gab es einige dunkle Wolken und einen kurzen Regenschauer. Kein Problem für die W 2000, weiter ging es über Linz Richtung Wien. Bislang hatte die Teams nur sehr wenig Verkehr vorgefunden, nun wurde es doch etwas voller auf der österreichischen Autobahn A 1. Auch der 2. Tankstopp verlief reibungslos, Reiner nahm wieder Platz auf der breiten Denfeld-Sitzbank.

Ein wunderschöner Frühlingstag zeichnete sich ab, schon um halb zehn war das Thermometer auf 17 Grad C geklettert, bei strahlendem Sonnenschein. Um 9:59 Uhr dann endlich das Ortseingangsschild Wien-Auhof. Beim Wiener Tourismusverband wurde schnell der Bestätigungsstempel eingeholt, beim Tankstopp sprangen 3 Männer hektisch um´s Motorrad. Öl in den Tank, parallel Benzin dazu, die großen Kanister wieder volltanken, noch ein paar Fotos schießen. Die junge Frau an der Kasse schaute schon neugierig und grinsend aus dem Fenster. Start zur Rückfahrt, die läuft genauso reibungslos wie die Hinfahrt. Nun hatten wir Gegenwind, und auch einige Baustellen sorgten für langsameres Vorankommen.

Bei Wels wurde wieder gewechselt. Andreas Gramlich übernahm die Maschine. Die Tankstopps wurden zur Routine. 18 Liter passen in den Tank der W 2000, davon ca. 4 Liter Reserve. Der normale Verbrauch liegt bei etwa 6,5 l/100 km, Tribut an das bequeme, vibrationsfreie Fahren. Unser Verbrauch lag noch etwas höher, aufgrund der gewählten Vergasereinstellung. So ergab sich ca. alle 220 km die Notwendigkeit des Nachtankens.

Bei Regensburg begann die letzte Süd-Etappe, die von Georg Emonts gefahren wurde. Prompt wurde er mit einem 10-minütigem Regenschauer "belohnt".

Um 14:40 Uhr wurde wieder Erlangen-Tennenlohe erreicht. Das Team "NORD" setzte routiniert die Fahrt fort. Abwechselnd fuhren wieder Hans-Heinrich Duensing und Werner Krumland. Der Einfachheit halber wurden die gleichen Etappen wie am frühen Morgen gefahren. Gleichmäßig brummte der Wankel vor sich hin, die mechanischen Geräusche des Winkeltriebs und des geradverzahnten Primärantriebes drangen nur durch den Fahrtwind gemindert an das Ohr des Fahrers.

Bundesautobahn mit Vollgas
Kleinmachen hinter dem Lenker steigert nicht nur bei einem voluminösem Fahrer die Aerodynamik!

Außer zwei Zündkerzen und einem Kerzenstecker wurden keine Ersatzteile auf dem Motorrad mitgeführt. Auch das Werkzeugset diente nur dem Kettenspannen und dem Wechsel der Zündkerzen getreu dem Motto "was wir nicht mit haben, wird auch schon nicht kaputt gehen." Das Serviceauto hatte vornehmlich Öl- und Benzinvorräte gebunkert. Das einzige Zugeständnis an die modernen Zeiten waren die Handys zur Verständigung der Teams untereinander sowie eins für alle Fälle im Tankrucksack.

Gegen Ende der Fahrt wurde es noch einmal spannend. Hans-Heinrich bog hinter der Ausfahrt Ramesloh, nur noch 20 km vor dem Ziel in Hamburg, plötzlich auf den Parkplatz ein. Über 45 km war er schon auf Reserve gefahren, nun musste doch noch einmal nachgetankt werden. Schnell wurden noch 5 Liter Gemisch nachgelegt, dann ging es schon wieder mit Vollgas Richtung Norden. ½ h vor Sonnenuntergang, um genau 20:15 Uhr, war das Ziel Hamburg-Stillhorn erreicht!

Hamburg-Wien-Hamburg - das Ziel ist fast erreicht!
Kurz vor Erreichen des Ziels!

Die Gesamtdistanz betrug laut Tachoangabe 2257 km. Dies korrespondiert sehr gut mit den Ergebnissen der 60er Jahre. Wir haben es uns geschenkt, die genaue Strecke mit Computerprogrammen nachzurechnen oder gar mit einem Global Positioning System die Fahrt zu dokumentieren. Das hätte Klacks auch nicht gemacht. Bei einer Gesamtfahrtzeit von 20 h 15 min ergibt sich somit inklusiver aller Tankstopps eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 111,45 km/h, eine sehr respektable Leistung für ein 25 Jahre altes Motorrad mit 27 PS Wankelmotor.

Wir hatten mit diesem 1. Mai 1999 einen optimalen Tag erwischt, alle Beteiligten waren müde aber glücklich und zufrieden mit den Erreichten. In der Raststätte Stillhorn wurde zur Feier des Tages schnell noch ein Gläschen Sekt verköstigt, dann ging es nach dem Abschiedsfoto wieder auf eigener Achse heim Richtung Hannover/Nienburg.

Wie schrieb Klacks doch so treffend im April 1976 nach erfolgreicher Beendigung des 50.000 km-Tests auf dem Nürburgring: "Wir schließen aus allen diesen Erfahrungen, die auch bestätigen, was beim Einsatz unserer Langstrecken-Renn-Wankel 1975 erkennbar wurde, dass der Wankelmotor der Hercules W 2000 ein zählebiger Dauerläufer ist". Quod erat demonstrandum ("Was zu beweisen war").

Das Motorrad war in der großen Hercules W 2000-Jubiläums-Ausstellung in Nürnberg vom 12.6. bis 11.7.1999 im Museum Industriekultur zu besichtigen. Ebenso fanden sich alle Fahrer/Betreuer dort am 12./13.06.1999 zum internationalen Wankel-Motorradtreffen ein.

Das Bahnburner-Team
Das Bahnburner-Team:
Von links: H. Brinkmann / Luise Zietz / Gustav Zietz / Carsten Zahl † / W. Krumland / K.-H. Duensing
(† Carsten Zahl verstarb am 27.6.99 bei einem Motorradunfall mit einer Ducati)

© 1999-2004 Text: Heiner Brinkmann - Fotos: Christian Brinkmann
Hercules Wankel IG - letzte Aktualisierung am 08.09.2004
Dieser Bericht wurde zudem auf der Webseite der Hercules IG veröffentlicht