Geschichte der Van Veen OCR 1000 mit Wankelmotor:

Der niederländische Geschäftsmann Hendrik van Veen (holländischer Importeur von Kreidler Fahrzeugen und Bootsmotoren) betrieb in den 1960-er und 1970-er Jahren erfolgreich Rennsport in der 50 cm³ Klasse. So stellte 1971 die unter seiner Regie ausgerüstete 50 cm³ Kreidler Rennmaschine einen Geschwindigkeits-Weltrekord (218 km/h) in dieser Klasse auf!

Ähnlich wie Friedel Münch beschäftigte van Veen sich Anfang der 1970-er Jahre auch mit der Idee, ein Motorrad der Superlative zu bauen. Dabei sollten nur die seinerzeit weltweit besten Komponenten verwendet werden. Die Leistung der Maschine sollte alles bis zur damaligen Zeit konstruierte übertreffen. Es sollte ein damals hochmodernes Antriebskonzept zum Einsatz kommen: Wankelmotor, Kardanantrieb und Leichtmetallräder.

Es wurden in den kommenden 6 Jahren einige Prototypen konstruiert, wobei sich bis Anfang 1976 die endgültige Form der Maschine ergab:

Wasser/Ölgekühlter Zweischeiben-Wankelmotor (2 x 498 cm³ Kammervolumen) der französischen Firma Comotor (Saargemünd), verbunden mit einem Vierganggetriebe und Kardan-Endantrieb. Der Kardan wurde über ein doppelt wirkendes homokinetisches Gelenk zum Hinterrad geführt. Dies bedeutete geringe Aufstellkräfte und somit einen weichen Lauf beim Beschleunigen. Die beiden Läufer des Motors sind ölgekühlt, d. h. das Schmieröl wird zur Kühlung durch das Innere der Läufer gepumpt.

Der Motor entstammt dem Citroën Birotor PKW und ist technisch sehr eng mit dem NSU RO 80 Aggregat verwandt. Dieses Basisaggregat war von der Firma Comotor auch für andere Anwendungsfälle (z. B. Bootsmotor) konzipiert worden. Für einen Motorradbetrieb waren einige Gehäusemodifikationen (z. B. besonderer Lichtmaschinen- und Zündungsdeckel) erforderlich. Die Zündung ist eine speziell für Van Veen entwickelte Hochleistungs-Kondensatorzündung mit Verstellkennlinie (System Busch-Jäger-Hartig) - damals eine technische Revolution!

In der Standardversion hat dieser Motor im Motorrad eine Leistung von 73 KW (100 PS), bei einem einzigartigen Drehmomentverlauf von 135 Nm bei 2500 U/min! Dieses Drehmoment fällt bei Drehzahlen bis 5500 U/min nie unter 120 Nm ab. Die zulässige Höchstdrehzahl beträgt 6500 U/min, wobei dann auch die höchste Leistung anliegt. Damit steht ausreichend Leistung für eine Geschwindigkeit jenseits von 210 km/h zur Verfügung. Die 100 km/h Marke wird beim Start nach 3,8 Sekunden erreicht, die 160 km/h Marke schon nach 10,8 Sekunden! Bei dem Leergewicht des fahrfertigen Motorrads von 330 KG ist dies beachtlich. Wenn man die gewaltige Drehmomentkurve der Van Veen mit einem Drehmomentverlauf eines heutigen Hubraum- und PS-Boliden vergleicht, so fällt auf, dass dies von modernen Motorradmotoren noch lange nicht erreicht wird! (Zum Vergleich: Die damals stärkste Serienmaschine "Münch 4" mit NSU-TTS-E Motor brachte es bei 1300 cm³ auf etwa knapp zwei Drittel dieses Drehmoments, die moderne BMW K 1200 S des Jahres 2005 hat auch rund 130 Nm, allerdings erst bei über 8000 U/min!)

Durch relativ geringe Veränderungen ist es möglich, die Motorleistung der Van Veen auf rund 96 KW (130 PS) anzuheben, ohne dass die Maschine an Alltagstauglichkeit verlieren würde!

Das Getriebe verfügt nur über 4 Gänge, was letztlich bei dem hohen Drehmoment und der turbinenartigen, gleichmäßigen Kraftentfaltung völlig ausreichend ist. Der vierte Gang kann im Landstraßenbetrieb quasi als "schaltfaule" Universalfahrstufe eingesetzt werden. Selbst Anfahren ist damit noch möglich, wenngleich die Kupplung auf derartige Belastungen nicht ausgelegt worden war.

Van Veen OCR 1000

OCR 1000 - unverkleidete Version

Van Veen OCR 1000

OCR 1000 - mit Vollverkleidung

Die offizielle Vorstellung der Maschine erfolgte im Herbst 1976, allerdings konnten erst Anfang 1977 die ersten Kundenfahrzeuge ausgeliefert werden. Der Preis betrug anfangs 24.198 DM - für diejenigen, die ihr Fahrzeug bereits vor Produktionsbeginn bestellt hatten. Offiziell betrug der Preis Anfang 1977 dann über 28.000 DM (zum Vergleich: Das Spitzenmodell von BMW, die R 100 RS war zur gleichen Zeit für knapp über 10.000 DM zu bekommen!).

Für die Produktion hatte Hendrik van Veen eigens eine kleine Fabrik im niedersächsischen Duderstadt unmittelbar an der ehemaligen Zonengrenze zur DDR übernommen, die zuvor Zuliefererteile für die Automobilindustrie produziert hatte. Dort wurde neben der bisherigen Produktpalette im September 1976 die Serienfertigung der OCR 1000 begonnen. Der Standort des Werks im früheren Zonenrandgebiet war wegen der staatlich garantierten Investitions-Fördermittel damals recht interessant.

Gerade, als die Serie gestartet worden war, kündigte Citroën einen einschneidenden Wechsel seiner Produktlinie an: Das Wankelprojekt "Birotor" wurde quasi über Nacht eingestampft, Citroën zog sich komplett aus der Wankelfertigung zurück und nahm sogar bereits an die Kunden ausgelieferte PKW wieder in Zahlung! In der Folge war auch die Wankelmotorenfertigung bei Comotor betroffen.

Für Hendrik van Veen bedeutete dies, dass er für seine Motorräder nicht mehr genügend Einbaumotoren bekommen würde. Anfangs überlegte man, die Motorenproduktion in Eigenregie aufzunehmen, gab diesen Gedanken wegen der hohen Investitionskosten jedoch wieder auf. So musste die Motorradproduktion nach sehr kurzer Zeit schon wieder eingestellt werden. Van Veen zog sich danach vollständig aus dem Motorradbau zurück und verkaufte auch seine Fabrik in Duderstadt wieder.

Insgesamt sind in Duderstadt nur ca. 42 Maschinen vom Band gelaufen. Später wurden noch einige Fahrzeuge aus vorhandenen Ersatzteilbeständen aufgebaut, so dass der Gesamtbestand bei ca. 48 Fahrzeugen gelegen haben dürfte. Die genaue Zahl ließ sich bisher nicht ermitteln, die Angaben aus verschiedenen Quellen tendieren zwischen 37 und 48. Eine Maschine wurde durch einen Unfall total zerstört. Die anderen Maschinen dürften bis heute erhalten geblieben sein. Sie befinden sich in privaten Händen und Museen. Im Straßenverkehr sind sie eine absolute Ausnahmeerscheinung!

Van Veen OCR 1000

OCR 1000 mit Vollverkleidung (ab Werk).
Von der OCR 1000 sollen ab Werk nur 5 Maschinen mit dieser Vollverkleidung ausgeliefert worden sein.
Sie befinden sich heute in privatem Besitz.

Stand: 17.04.2006 - Copyright Wolfgang Dingeldein (Webmaster Hercules Wankel IG)
Bilder: privat (Copyright des Maschinenbesitzers)!

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